Post aus Wimbledon: Ein wunderbar rundes Gefühl
Bye-bye München, die Leidenschaft ruft - ich fliege wieder nach London zu meiner Zwei-Wochen-Geliebten mit dem betörenden Namen Wimbledon. Es ist die mittlere der drei Jahreszeiten für AZ-Kolumnisten Gunther Beth.
Wieder spüre ich dieses unvergleichliche Kribbeln im Körper - nicht erst, wenn ich mittags die Anlage betrete, sondern schon morgens im Hotel, wenn ich sehe, dass da zum Frühstück gebratene Bücklinge serviert werden und dass die Autos wieder alle auf der falschen Seite fahren. Good old Britain! Nirgendwo sind Spleens und Schrullen so liebenswert wie hier. Und Wimbledon ist natürlich der faszinierendste Schauplatz für den schönsten Sport der Welt. Jedenfalls für mich...
In den Sixties gab es hierzulande im Sport eigentlich nur ein Thema: das „Wembley-Tor“ im WM-Finale Deutschland gegen England. Ich hingegen gehörte zu den paar Perversen, die nicht von Wembley alpträumten, sondern mit einer rauschenden Karriere als Tennisprofi liebäugelten. Aber zum Zeitpunkt jener Sehnsucht hatte diese Branche bei uns leider noch keine große Zukunft. Als 1967 Boris Becker geboren wurde, erreichte ein gewisser Wilhelm Bungert als erster Deutscher nach dem Krieg das Endspiel in Wimbledon - und bekam dafür eine Prämie von 300 Mark. Andre Agassi kassierte 25 Jahre später nach seinem Wimbledon-Sieg eine Million Dollar für zehn Minuten Sonnenbrilletragen...
Bei mir beschränkte sich die Realität in Hamburg auf eine LTSV-Vereinsmeisterschaft im Junioren-Doppel (mit meinem exorbitanten Partner Günter Reinhard) und die schönsten Jahre meiner Jugend, wobei nur die Schule störend in mein Spieler-Leben eingriff. Mit 17 warf ich das Handtuch.
„Spielen“ jedoch wollte ich auch nach der Schule in jedem Fall - und so wurde ich Schauspieler. Später begann ich dann noch mit Schreiben: Romane, Reportagen, Drehbücher. Mein „Centre Court“ ist allerdings das Boulevard-Theater, das ich seit vielen Jahren regelmäßig „bestücke“, entweder im Alleingang oder mit wechselnden Co-Autoren, vor allem aber im Duett mit meiner Frau und Kollegin Barbara Capell.
Die drei Jahreszeiten
Wimbledon jedoch bestimmte und bestimmt nach wie vor meinen „inneren Kalender“: Es gibt für mich immer die drei Jahreszeiten „Vor Wimbledon“, „Wimbledon“ und „Nach Wimbledon“. Bei den Fernsehübertragungen bekam ich regelmäßig Herzjagen und kalte Hände - und den heißen Wunsch, selbst einmal live dabei zu sein. „Sehnsucht ist alles, Erfüllung ist nichts“ meinte ja Altmeister Johann Wolfgang von Goethe, aber der war bekanntlich nie in Wimbledon. Ich erlebte es 1991 - und hatte das wunderbare Gefühl, endlich „angekommen“ zu sein.
Um mir diese Ankunft gebührend feierlich zu gestalten, gaben sich meine Landsleute besonders Mühe - und so hieß das Herrenfinale Michael Stich gegen Boris Becker - bei den Damen siegte Steffi Graf und bei den Juniorinnen Barbara Rittner. Seitdem pilgere ich Jahr für Jahr zum „Heiligen Rasen“ und habe mir geschworen, da kommt nichts mehr dazwischen. Ich habe mir selber Wort gehalten, aber damit nicht genug: Anno 2004 kam dann die AZ dazwischen und ließ mich meine eigene Wimbledon-Kolumne schreiben - nun schon im sechsten Jahr. Und so genieße ich Sommer für Sommer das wunderbar runde Gefühl, wenn sich im Leben ein schöner Kreis schließt.
Gunther Beth, Kömödien-Schauspieler und Autor ("Der Neurosenkavalier", und "Trau keinem über 60"), lebt in München. Seit 2004 ist er Wimbledon-Kolumnist der AZ.
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