Playboy, Schlägertyp - Rätsel Safin

Er ist ein begnadeter Tennis-Spieler. Marat Safin ist aber auch das Enfant terrible der Szene - und sagt: "Ich will nur noch Spaß."
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Schrammen von einer Schlägerei in der Disco: Marat Safin.
AP Schrammen von einer Schlägerei in der Disco: Marat Safin.

MELBOURNE - Er ist ein begnadeter Tennis-Spieler. Marat Safin ist aber auch das Enfant terrible der Szene - und sagt: "Ich will nur noch Spaß."

Bis auf 24 Stunden war der Countdown zum Hopman Cup-Start schon heruntergezählt, da war zum Leidwesen von Turnierboß Paul McNamee der schillerndste seiner Superstars, der rätselhafte Marat Safin, noch immer nicht erschienen. Stundenlang ließ McNamee das Telefon nach Moskau glühen, rief Verwandte, Bekannte und Freunde an. Aber Safin blieb verschollen, selbst für seine Schwester Dinara, die schon längst nach Perth vorausgereist war. Als McNamee, der einstige Macher der Australian Open, schon alle Hoffnung begraben hatte, tauchte Safin schliesslich aus der Versenkung, buchstäblich wie aus dem Untergrund, plötzlich doch noch auf. Der Grund seiner gehörigen Verspätung im Westen Australiens stand dem feurigen Moskowiter buchstäblich ins Gesicht geschrieben: Beide Augen waren grün, gelb und blau unterlaufen, die leuchtenden Überbleibsel einer Silvester-Diskoschlägerei, bei der Safin sich mit einem Landsmann daheim in der russischen Hauptstadt kräftig geprügelt hatte. „Sie hätten den anderen Typ sehen sollen“, grinste Safin, als er tags darauf zu einer ersten Pressekonferenz geschlichen war. Man könne einem wie Safin „einfach nicht böse sein“, befand Manager McNamee achselzuckend, „er ist eben einer, der gegen den Strom schwimmt. Keiner aus der grauen Masse der Profis.“

Inzwischen sind die „Veilchen“ auch wieder verschwunden, so dass Safin jetzt mit klarem Blick seine Aufgaben bei den Australian Open in Angriff nehmen kann. Zweimal hat der ewig Unberechenbare schon in der Gluthitze von Melbourne tapfer seinen Mann gestanden, und nun führt ihn das Schicksal mit einem Mann zusammen, der ihm über die Jahre weit enteilt ist, der 13 Grand Slam-Titel gewonnen hat und der Safin zeigte, wie man aus großen Talenten auch große Triumphe schmiedet. Roger Federer gegen Marat Safin lautet bereits in der dritten Australian Open-Runde das spektakuläre Nachtmatch - kein Wunder, gehört der Hüne Safin doch schon länger nicht mehr zu den Alphatieren der Branche, sondern nur noch zum gehobenen Mittelstand. Gefährlich könnte Safin dem Schweizer Maestro gleichwohl werden, nun, da er Tennis nur noch als streßfreies Beschäftigungsprogramm betreiben will: „Ich habe keinen Druck mehr, ich will nur noch Spaß im Wanderzirkus“, sagt der 29 Jahre alte Russe mit dem mächtigen Hieb, der schon einmal auf Platz 1 der Weltrangliste stand.

Vor vierJahren hatten sich zum letzten Mal die Wege von Safin und Federer entscheidend auf einer der Grand Slam-Festspielbühnen gekreuzt. Der Schweizer hatte im Melbourne-Halbfinale zwar einen Matchball gegen Safin, doch der holte sich den Sieg und später auch den Titel. Aber danach zog Federer dem kaum weniger begabten Russen mächtig davon, holte reihenweise Grand Slam-Titel – während Safin in sein altes Phlegma verfiel, sich die schönsten Eskapaden leistete und nach langen Partynächten keine Lust mehr hatte, verkatert auf den Trainingsplatz zu stiefeln. „Er könnte seinen Sport so beherrschen wie Michael Schumacher einst die Formel 1. Oder wie Tiger Woods das Golf“, sagt der russische Tennis-Zar und Davis Cup-Chef Schamil Tarpischew über Safin, „aber ihm fehlt das leidenschaftliche Verlangen. Er ist nur mit halbem herzen Profi.“ So manche Extratour Safins hat auch Scharpischew schon aushalten müssen, etwa den Davis Cup-Boykott vor dem Halbfinale gegen Deutschland 2007: Damals war Safin zu einer russischen Expedition ins nepalesisch-tibetische Grenzgebiet gestoßen, die den Achttausender Cha-Oyu besteigen wollte. „Abstand vom Wanderzirkus“ und „neue Inspiration“ brauche er, sagte Safin damals etwas dunkel.

Wahrscheinlich ist Safin der stärkste Spieler, der nur so wenige Grand Slams gewann: Den 2005 hier in Melbourne. Und den bei den US Open 2000, als er Großmeister Pete Sampras wie einen Schuljungen im Finale aussehen ließ. Nie hatte Safin die Selbstdisziplin und professionelle Attitüde, die sich die ganz großen Stars in einem mühsamen Lernprozeß erworben haben. Federer war auch einmal so unbeherrscht wie Safin, auch Agassi war ein kunterbunter Paradiesvogel wie Safin, doch irgendwann erkannten sie, dass sie eben nicht als Entertainer, sondern als Grand Slam-Champions enden wollten.

Ende des Jahres wolle er „wahrscheinlich zurücktreten“, hat Safin zu Beginn der Saison gesagt, in Perth, als er mit seiner Schwester die Mixed-WM bestritt. Allzu ernst nehmen muss man das nicht, denn Safin ist in allem, was er tut und sagt, keine verlässliche Größe. Das macht den Bonvivant und Partylöwen allerdings auch so charmant für seine Fans, die nie so recht wissen, woran sie mit ihm sind. Und so tückisch selbst für Gegner des Kalibers Federer, denen Safin an einem guten Tag mühelos den Knockout versetzen kann. Er ist zwar inzwischen nur noch der große, kleine Bruder seiner wesentlich erfolgreicheren Schwester Dinara, aber dieser Bruder Leichtfuß hat immer noch große Siege in sich. Wenn er denn nur will.

Jörg Allmeroth

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.