„Peinliche Propaganda“
Er bestieg den Mount Everest mehrmals und plädiert seit Jahrzehnten für die Eigenständigkeit Tibets. Extremsportler Reinhold Messner über die Angst am Berg, Tibets Autonomie und warum der Everest ein "Platz der Götter und kein Platz der Wichtigtuer" ist.
AZ: Herr Messner, die olympische Fackel hat den Gipfel des Mount Everest erreicht. Und das ausgerechnet am 8. Mai.
REINHOLD MESSNER: Ironie des Schicksals. Auf den Tag genau vor 30 Jahren ist Peter Habeler und mir die Erstbesteigung des Everest ohne zusätzlichem Sauerstoff gelungen. Wir sind damals in Sturm und großer Kälte hinaufgekrochen und dann so schnell wie möglich wieder runter. Es gab keine Freudentränen und keine Euphorie, diese Welt da oben ist zu gefährlich. Und jetzt tanzen sie da mit der Fackel herum.
Pekings Olympia-Chef Xi Jinping frohlockte begeistert von „einem der größten Ereignisse der Olympischen Geschichte“.
Ein Teil von Chinas nationalistischer und peinlicher Propaganda. Genau dagegen habe ich mich immer gewehrt. Ich respektiere die wirtschaftliche Leistung von China in den letzten Jahren und die chinesischen Bergsteiger, die den Everest bestiegen haben. Aber ich hasse nationalistische Gebärden. Warum muss man auf den Gipfeln dieser Welt Fahnen schwingen? Warum muss ich eine Fackel hoch tragen und lasse keine unabhängigen ausländischen Reporter zu? Für die Leute im Himalaya sind die Berge ein Platz der Götter und kein Platz der Wichtigtuer.
Ist der Everest durch den Fackellauf also entweiht?
Ich würde sagen, banalisiert. Aber das ist er schon lange.
Wie meinen Sie das?
Früher hatten wir Angst und Respekt. Angst, runterzufallen, umzukommen. Der Mensch ist ein Mängelwesen, das für den Everest nicht gemacht ist. Die Angst ist ein archaisches Element beim Bergsteigen, sie gehört dazu wie auch die Hoffnungslosigkeit. Es geht nur verloren, weil alles zu Pisten umgewandelt wird, um auch am Everest den touristischen Massenaufstieg zu ermöglichen. Es ist immer mehr die Technologie, die einen hochbringt.
Bergsteigen als Ausflug für jedermann statt Extremerfahrung zwischen Leben und Tod. Lohnt sich aber, da machen viele ein gutes Geschäft damit.
Natürlich, aber es ist langweilig. Deswegen ist auch die Raumfahrt für mich langweilig. Was tu ich denn da? Ich lasse mich in einer Kapsel raufschießen und die Kapsel von Menschen lenken, die in der Bodenbasis am Computer sitzen. Das ist kein Abenteuer mehr. Wer es mag, bitte. Ich habe nichts gegen den Blinden, der auf den Everest will. Aber bedenken Sie nur, wie der Berg präpariert werden muss, damit er auch hochkommt und wieder runter. Klettersteige überall, sie haben den Berg in Ketten gelegt.
In Ketten liegen aber auch die Menschenrechte, in China und in Tibet.
Ich bin dagegen, die Faust zu erheben und das Gewehr. Im dritten Jahrtausend muss das Wort die Waffe sein. Doch wenn selbst die, die das Wort einsetzen, mit brutalsten Methoden niedergeknüppelt werden, dann stimmt etwas nicht.
Jetzt hat sich Chinas Regierung mit Gesandten des Dalai Lama getroffen. Aus ernstem Interesse oder reinem Kalkül, um die Welt zu beruhigen?
Das vermag ich nicht zu sagen. Die Olympischen Spiele sollen in jedem Fall stattfinden. Der Fehler lag weit im Vorfeld, nämlich dass sie überhaupt dorthin vergeben wurden, ohne festzuklopfen, dass Tibet seine Autonomie bekommt. Ich denke aber, dass es jetzt gelingen wird. Tibets Autonomie wird langsam entstehen. Das wird dauern, wir Südtiroler haben ja Erfahrung darin. 20, vielleicht 30 Jahre.
Sie meinen, China beugt sich dem internationalen Druck?
Wenn die Chinesen schlau sind, dann geben sie nach. Auch aus wirtschaftlichem Interesse. Denn wenn sie die tibetische Kultur aus dem Himalaya vertreiben, dann haben sie auch das touristische Potenzial nicht mehr, mit dem sie viele Millionen Menschen ins Land locken können. Letztendlich war es auch gut, dass der Fackellauf durch die westliche Welt stattgefunden hat. Mit all den friedlichen Protesten am Rande wurde es zu einer Sympathiekundgebung für die Tibeter.
Interview: Florian Kinast