Pechstein vor Ad-hoc-Gericht - Anzeige gegen ISU

Vancouver (dpa) - Die Dauer-Affäre Pechstein sorgt nun auch in Vancouver für Unruhe im deutschen Olympia-Team.
Die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein hat überraschend einen Eilantrag beim Ad-hoc-Gericht des Sportgerichtshofes CAS gestellt, um trotz ihrer zweijährigen Doping-Sperre noch den Olympia-Start zu erzwingen. Zudem verschärfte sie ihren Kampf gegen die Internationale Eisschnelllauf-Union (ISU) mit einer Strafanzeige.
Experten räumen der Berlinerin wenig Chancen auf eine Olympia-Teilnahme ein. Dennoch meinte ihr Manager Ralf Grengel: «Wenn es eine objektive Beurteilung der vorliegenden Beweise gibt, müssten die CAS-Richter erkennen können, dass Claudia zu Unrecht gesperrt wurde und ihr ein Olympia-Startrecht ermöglichen.» Pechstein geht es laut Grengel vor allem um eine Teilnahme im Teamrennen am 26. und 27. Februar.
Pechsteins Anwalt Christian Krähe bestätigte in Vancouver, dass er den Antrag noch bis zum Abend beim Ad-hoc-Gericht einreichen werde. Mit einer Entscheidung des Gremiums sei laut Krähe jedoch erst in einigen Tagen zur rechnen. «Es muss jetzt zunächst ein Hearing angesetzt werden, zu dem höchstwahrscheinlich Vertreter des Internationalen Olympischen Komitees und des Deutschen Olympischen Sportbundes eingeladen werden. Nach diesem Hearing muss die Ad-hoc-Kammer dann innerhalb von 24 Stunden entscheiden», sagte Krähe.
Die deutsche Teamleitung muss sich nach einem Brief Pechsteins nun also erneut mit dem brisanten Fall beschäftigen. DOSB- Generaldirektor Michael Vesper hatte tags zuvor angekündigt, dass man ihr Schreiben «selbstverständlich beantworten» werde. Jedoch sei «zu dieser Angelegenheit alles gesagt, was es zu sagen gibt». Damit das Ad-hoc-Gericht des CAS tätig wird, muss aus formalen Gründen zunächst der nationale Verband aufgefordert werden, das Startrecht zu erteilen. Das war mit dem Brief an DOSB-Präsident Thomas Bach passiert.
Hintergrund des erneuten juristischen Vorstoßes ist eine Aussage des Anti-Doping-Experten Pierre-Edouard Sottas, der Pechstein trotz ihres abnormalen Retikulozyten-Profils plötzlich vom Doping-Vorwurf entlastet. In einer E-Mail an Pechstein-Anwalt Simon Bergmann hat Sottas dargelegt, er schätze «die Wahrscheinlichkeit, ein solches Profil aufgrund von Doping zu erhalten, speziell auf den Wettkampf im norwegischen Hamar bezogen, als gering ein.» Die 37-Jährige hat daher ihre Strafanzeige gegen die ISU sowie deren Anwälte Gerhardt Bubnik und James L. Hawkins wegen Prozessbetrugs bereits auf den Weg gebracht.
Der Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft DESG, Gerd Heinze, zeigte sich nicht unbedingt angetan von dem Vorstoß. «Ich will und darf das hier nicht kommentieren, das ist Sache des Deutschen Olympischen Sportbundes», sagte er. Mit seiner Gestik machte er deutlich, dass er dem Antrag aber kaum Chancen auf Erfolg zubilligt. «Ich bin nicht direkt involviert in den Fall. Aber wir können uns doch nur an die Tatsachen halten. Und Tatsache ist das, was die Gerichte entschieden haben», erklärte Gerd Zimmermann, der Vize-Präsident der ISU.
Aufgrund auffälliger Blutwerte bei der Mehrkampf-WM in Hamar am 7. Februar 2009 hatte die ISU Pechstein Ende Juni 2009 mit einer zweijährigen Sperre belegt. Strafrechtlich relevant werden könnte die Aussage von Sottas aus Sicht des Pechstein-Lagers, da dessen Einschätzung dem Weltverband bereits bekannt gewesen sein soll, bevor Pechstein gesperrt wurde. Die ISU hatte ihre Anklage maßgeblich auf ein Gutachten von Sottas gestützt, in dem der Bio-Statistiker der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) Pechstein abnormale Retikulozyten-Werte bescheinigte.
Sottas behauptet in seiner Mail, die die Athletin auf ihrer Webseite «www.claudiapechstein.de» in Auszügen veröffentlichte, er habe die ISU bereits im Juni, während der Verhandlung vor dem Schiedsgericht, darauf hingewiesen, dass er eine medizinische Ursache für wahrscheinlicher als Doping halte.
«Diese Vorgehensweise erfüllt aus unserer Sicht den Straftatbestand des Prozessbetruges», erläuterte Pechsteins Anwalt Simon Bergmann. «Die ISU-Verantwortlichen haben wider besseren Wissens sowohl ihre eigenen Verbands-Schiedsrichter als auch die CAS-Richter arglistig getäuscht und bis zuletzt in dem Glauben gelassen, Gutachter Sottas sei fest davon überzeugt, meine Mandantin habe gedopt.» Pechstein kommentierte dazu entrüstet: «Dass der Verband bewusst Beweismaterial unterdrückt, das mich entlastet, macht mich fassungslos.» Es sei beschämend und schockierend zugleich, dass die ISU zu solchen Mitteln greife, um ihre Verurteilung zu erwirken.