Paralympionikin Birgit Kober: "Leute behandeln dich, als wäre man ein Kleinkind"

Am Donnerstag wird Paralympionikin Birgit Kober von der Stadt München für ihre Verdienste geehrt. In der AZ spricht sie über Erfolge, fehlende Anerkennung und ihre Krankheit.
Alexander Maier |
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Beinahe andächtig: Die Münchnerin Birgit Kober genießt bei der Siegerehrung nach ihrem Paralympics-Triumph die Nationalhymne.
dpa Beinahe andächtig: Die Münchnerin Birgit Kober genießt bei der Siegerehrung nach ihrem Paralympics-Triumph die Nationalhymne.

Am Donnerstag wird Paralympionikin Birgit Kober von der Stadt München für ihre Verdienste geehrt. In der AZ spricht die Goldmedaillengewinnerin über Erfolge, fehlende Anerkennung und ihre Krankheit.

München - Die 45-Jährige leidet seit ihrem 17. Lebensjahr an Epilepsie. Seit 2007 ist sie nach einem Behandlungsfehler auf den Rollstuhl angewiesen. Bei zwei Paralympischen Spielen gewann die Speerwerferin und Kugelstoßerin drei Mal Gold – zuletzt 2016 in Rio.

AZ: Frau Kober, Sie haben nach der Goldmedaille im Kugelstoßen bei den Paralympischen Spielen in Rio viele Ehrungen erhalten. Was bedeutet ihnen da die heutige Sportlerehrung ihrer Heimatstadt München?
BIRGIT KOBER: Die Sportlerehrung in München ist eine sehr schöne und runde Ehrung, persönlich und familiär gestaltet. Natürlich ist es auch nochmal etwas ganz besonderes, wenn man von seiner Heimatstadt ausgezeichnet wird.

Wie sind denn die Bedingungen in Rio, wenn man auf einen Rollstuhl angewiesen ist?
Im Rahmen der Spiele bin ich nicht viel aus dem olympischen Dorf herausgekommen. Aber grundsätzlich war es für mich völlig in Ordnung. Wenn man sieht, unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben und sich dennoch solch eine Herzlichkeit bewahrt haben, ist das sehr bemerkenswert.

Sie mussten die Abschlussfeier in Rio frühzeitig verlassen.
Ja, während der Feier bin ich erkrankt und musste noch in Rio behandelt werden. Das Ganze zog sich noch länger, aber jetzt passt wieder alles.

Sie haben sich zuletzt via Facebook beschwert, „unzureichend gefördert“ zu werden.
Es gibt nun 13 statt drei Plätze für paralympische Sportler in der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Das freut mich, das ist ein positiver Trend. Aber aus mir unerfindlichen Gründen wurde ich abermals nicht berücksichtigt. Ich frage mich: Wann bin ich denn endlich dran? Bin ich zu alt, habe ich die falsche Behinderung? Ich habe zwölf Goldmedaillen. Die Grundvoraussetzung ist, dass der Sportler die Förderung unbedingt benötigt. Das ist bei mir ganz klar der Fall!

Haben Sie dafür mittlerweile einen Job gefunden?
Nein, da läuft es ähnlich. Ich habe sehr viele Bewerbungen versendet. Oft werde ich eingeladen, nur um mir dann sagen zu lassen, dass es keine passenden Stellen für mich gibt. Manchmal sei ich auch überqualifiziert. Irgendwann denkt man sich: Man klopft mir gern auf die Schulter, die Goldmedaillen nimmt man auch gerne mit. Aber im Endeffekt habe ich nie etwas davon.

Ähnlich wie im Sport?
Manche Athleten bekommen extrem viel. Denen gönne ich das ja. Um ein Beispiel zu nennen: Sportler mit Prothesen ziehen anscheinend viel mehr in der Öffentlichkeit. Meine Gruppe, die Kopfgruppe, die der Leute mit Behinderungen im Kopf, ist anscheinend die Verlierergruppe, das ist immer so. Das ist schade, weil wir genauso die Leistungen bringen. Ich trainiere auch 20 Stunden in der Woche.

Ihre Leistung haben Sie auch 2012 bei den Paralympischen Spielen gebracht und zwei Goldmedaillen gewonnen. Was hat das für Sie bedeutet?
Wenn sie nach einem Behandlungsfehler in den Rollstuhl kommen, sehen Sie die Leute plötzlich an, als wären sie auf dem Niveau eines Kindes. Sie werden in der U-Bahn plötzlich mit Du angeredet, obwohl sie über 40 sind. Sie werden auf dem Kopf getätschelt. Leute behandeln dich, als wäre man ein Kleinkind. Ich war nicht mehr derselbe Mensch wie vor dem Vorfall, habe aber noch so gedacht. Das war schlimm. Als ich in London auf dem Treppchen stand, habe ich begriffen, dass ich nun etwas zurückgewonnen habe. Etwas Wichtigeres als Gold. Ich habe mich selbst, Birgit Kober, zurückgewonnen. Ich war wieder ein Mensch mit Selbstwertgefühl, der sich selbst im Spiegel ansehen kann und stolz auf sich ist. Und wenn ich jetzt in der U-Bahn bin, ist mir es mir egal, was die Leute denken.

Sie engagieren sich seit November für die Behindertensportabteilung des TSV 1860.
Ich repräsentiere die Leichtathletik. Es geht darum, Athleten die Möglichkeit zu geben, mit Hilfe von 1860 bei Wettkämpfen starten zu können. Im Laufe der Zeit werden die Strukturen besser und wir können immer mehr Leute zum Sport animieren.

Lesen Sie hier: Johnson macht als erster Golfer WGC-Slam perfekt

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