Ottke über Brähmer: "Nicht der Oberschlauste"
Das sagt Sven Ottke, der einst als ungeschlagener Weltmeister abtrat, über Jürgen Brähmer. Der boxt am Samstag um seinen WM-Titel – hier lesen Sie, warum er geläutert ist und immer besser wird.
München - AZ: Herr Ottke, Sie sind ja der ungekrönte König der knallharten Urteile – was halten Sie, der ja 2004 als ungeschlagener Box-Weltmeister abgetreten ist, von Jürgen Brähmer, der am Samstag seinem Titel gegen Ex-Champion Enzo Maccarinelli verteidigt?
SVEN OTTKE: Der Jürgen ist ein Guter. Er ist Linkshänder – und 80 Prozent aller Boxer können überhaupt nicht damit umgehen, wenn ihnen ein Linkshänder gegenübersteht, der alles spiegelverkehrt macht. Technisch ist Jürgen ausgezeichnet. Er ist variabel, er kann zuhauen, dass es rappelt in der Kiste – und da Maccarinelli dafür bekannt ist, dass er nicht gerade hart im Kinn ist, dass ihn etwa David Haye ausgeknockt hat, dass er bei den großen Kämpfen vorzeitig verlor, denke ich, dass der Kampf nicht über die vollen Runden geht. Jürgen ist vielleicht nicht der Oberschlauste, aber er hat es als Boxer drauf.
Sein Ex-Promoter Klaus-Peter Kohl rühmte Brähmer ja immer als Jahrhunderttalent.
So ganz falsch lag der Kohl damit ja nicht! Jürgen war – und ist immer noch – ein wirklich guter Boxer, der sein Handwerk beherrscht. Sein Problem war halt, dass er in seinem Leben viel zu viel Scheiße gebaut hat, er dadurch sein Potenzial nie ausleben konnte. Immer wenn er auf dem Weg nach oben war, hat er sich ja wieder selber Steine in die Erfolgsspur gelegt, hat sich mit irgendjemandem geprügelt oder landete im Knast. Das kann ihm jetzt aber sogar zugute kommen, er hat mit seinen 35 Jahren noch eine sehr große Frische, weil ihm der Staat durch die Gefängnisaufenthalte einige Pflichtpausen verordnet hat. Dadurch hat er weniger Ringschlachten erlebt. Ich habe vor ihm Respekt. Er hat viel Scheiße gebaut, er hat seine Strafe abgesessen – und damit gut so. Er ist auch sehr viel reifer geworden.
Gerade durch seine jetzt zweijährige Tochter Jasmin ist er ausgeglichener geworden.
Klar, man will ja Vorbild sein. Und was nicht zu unterschätzen ist: Mit einer Familie ändert sich auch der Freundeskreis. Wenn man nicht Papa ist, säuft man, hat man die falschen Freunde, prügelt man sich – als Vater bleibt man daheim. Und nichts geht schneller verloren als falsche Freunde, denn eines waren die ja nie: echte Freunde. Jürgen hat früher die Führung gefehlt, weil er eben nicht der Oberschlauste ist. Das erinnert mich an Marco Huck und Arthur Abraham, die haben auch nicht immer das Umfeld, das für einen professionellen Boxer gut ist. Deswegen ist auch so wichtig, dass sie einen Mann wie Uli Wegner als Trainer haben. Ich boxe jetzt zehn Jahre nicht mehr, aber für mich ist er immer noch eine Respektsperson. Ich fürchte nur, dass die beiden vielleicht nicht immer den nötigen und angebrachten Respekt vor Uli haben. Respekt ist eben auch eine Frage der Intelligenz.
Ende des Jahres läuft der Fernsehvertrag des Boxstalls Sauerland mit der ARD aus. Denken Sie, dass die ARD den Kontrakt verlängert?
Die ARD wäre schön blöd, wenn sie es nicht täte. Sauerland hat mit Brähmer, mit Abraham, mit Hernandez einige gute Weltmeister. Bei jeder Veranstaltung hat die ARD Einschaltquoten zwischen drei und fünf Millionen. Die kriegen sie sicher nicht hin mit einem der Drecksfilme, die da sonst laufen um kurz vor Mitternacht. Die Durststrecke im deutschen Boxen ist in meinen Augen vorbei. Mir gefallen auch die Kämpfe in der ARD gut, wenn man, weil es keine Werbepausen gibt, sondern in der Pause die Interaktion zwischen Trainer und Athlet sieht, wenn man mitkriegt, was an Anweisungen gegeben wird – das versteht dann auch der letzte Vollpfosten.
Ihr alter Trainer Wegner ist berühmt für seine Sprüche in den Rundenpausen. Zu Abraham sagte er: „Du hast von all den Schulterklopfern schon ganz hängende Schultern.“
Das ist genial, das ist fast Slapstick. Und er hat auch noch so recht. Diese ganzen Schulterklopfer, Schleimer und Arschkriecher – wer darüber seinen Wert definiert, hat nicht gerade viel Grips in der Birne. Die brauchst du nicht. Und wenn du sie für dein Ego brauchst, dann hast du eigentlich keinen Charakter, sondern bist ein armes Würstchen.