Olympia-Schlussfeier und der AZ-Reporter mittendrin!

VANCOUVER - Eigentlich wollte AZ-Reporter Florian Kinast sich bei der Abschlussfeier in Vancouver bloß etwas zu essen holen. Doch plötzlich war er mittendrin im Getümmel – und marschierte mit den Olympiahelden ins Stadion...
Und auf einmal war ich drin. Einfach so. Wollte ich ja eigentlich gar nicht. Wollte ja nur was zum Essen holen, bis ich auf einmal in den Katakomben des BC-Place-Stadions strandete. Um dann einzumarschieren. Wenige Minuten später. Mittendrin unter den Olympia-Athleten, rein in die Arena. Vor einem Milliardenpublikum am Bildschirm. Bei der Abschlussfeier der Winterspiele von Vancouver. Was für ein kolossales Finale.
Es hätte so ein entspanntes Zuschauen werden können von der Pressetribüne in Block 207. Doch dann kam alles anders, denn kurz vor Anpfiff um halb 6 kam Hunger. Also auf die Suche gemacht, siehe da: Bei Block 211, ein Schild nach links mit dem Hinweis „Food Court“, Fressmeile also.
Fein, also schnell den Pfeilen gefolgt, über lange Rampen ein Stockwerk tiefer, Akkreditierungskontrollen Fehlanzeige, aber dann, was war das, nach fünf Haarnadelkurven, Stimmengebrummel mit riesigem Personenauflauf. Ein Zugang wie am Stachus, Menschen, unruhig und umtriebig in unterschiedlichen Gewändern. Und überall am Rücken andere Ländernamen, Brasil, Belarus, Israel, Austria.
Saxndi, aber das sind doch die Athleten in Erwartung des Einmarschs. Und selber mittendrin. Einfach so. Aber warum? Zwar hing die Journalisten-Akkreditierung samt Platzkarte für Block 207 um den Hals, aber für hier dürfte das doch nie reichen. Und schon fingen Dutzende Volonteers das Brüllen an, lautstark hallte es: „Come on! Move! Move! Make your way straight on!" Auf geht's, Bewegung, pack mas, immer gradaus.
Und der Sportlerstrom floss dahin, ein Gedränge, ein Geschubse, und vorne war schon das große Tor hinein ins Stadion. Plötzlich die Gewissensfrage, kannst du das wirklich bringen? Und dann andererseits, wann hast du je wieder die Chance, bei Olympischen Spielen ins Stadion einzumarschieren? 2014 in Sochi? Als Aktiver gar? Dann mit 45? Lächerlich. Nicht beim Rodeln wegen der immer langsameren Startzeiten, auch nicht beim Eiskunstlauf. Meine Güte, wie lange ist das her, dass man den dreifachen Axel noch gestanden hat, da war die Bandscheibe noch jung und die Hüfte nicht so hölzern. Gut, Curling ginge vielleicht, da sind auch noch so alte Knochen dabei. Aber auch utopisch. Also, wenn nicht jetzt, wann dann, und ja, dann kam er auch, der große Moment, der Eintritt ins hell erleuchtete Stadion, mit leichtem Kribbeln, viel Adrenalin.
Kunterbunt durchgemischt waren die Athleten, ringsherum Iraner, Türken, Bosnier, alles keine Wintersport-Hochkaräter, aber das war der AZ-Reporter in seinem beigen Kapuzenpulli mittendrin ja auch nicht. Hinten drauf stand übrigens nicht der Herkunftsort. Hätte man das vorher gewusst, man hätte sich noch in geschwungenen Lettern „Haidhausen" einsticken lassen.
Rein also in die Arena, jubelnde Zuschauer, Ovationen. Fünf Minuten lang eine viertelte Stadionrunde rechts herum, immer wieder winken auf die Tribünen, dann rauf auf den Unterrang. Reservierte Sitze für die Sportler und Funktionäre mit freier Platzwahl. Zehn Reihen vorne links die deutsche Delegation, Amelie Kober saß neben Felix Neureuther. Vor einem Briten mit herumgeschwungenem Union Jack, links hinten US-Amerikaner mit Sternenbanner im Gesicht, zur rechten ein Lette mit Kniemanschette.
Jetzt aufstehen und wieder zurückgehen, warum? Jetzt ging der Kelch nicht mehr vorüber, und der Elch auch nicht. Denn auf jedem Sitzplatz lagen Elchgeweihe, die man sich um den Schädel schnallen sollte. Als Elch machte man sich zwar zum Affen, weil das aber alle taten, war es nicht so wild. Aus einer Tüte galt es dann noch blinkende Lichter in Rot und Weiß herauszukramen, nebenbei auch ein praktisches Mitbringsel, wegen der kaputten Radllichter daheim.
Dann die feierliche Zeremonie, das Einholen der Flagge, die Reden der Funktionäre. OK-Chef Furlong, IOC-Boss Rogge. Die ergreifenden Gänsehaut-Höhepunkte mit Neil Youngs Solo-Song „Long may you run" beim Erlöschen des Olympischen Feuers und die stehenden Ovationen beim Gedenken an den verunglückten Rodler Nodar Kumaritashwili. Berühmte Kanadier hatten dann noch ihre Auftritte, William Shatner, ja, den gibt's auch noch, den alten Captain Kirk von der Enterprise, oder Michael Bublé, den cool swingenden Jazz-Sänger, der den Auftakt machte zur großen Party, bei der es dann wieder runter ging, rein in den Innenraum. Lydia Lassila, die australische Olympiasiegerin im Freestyle-Skispringen, ließ sich auf den Schultern tragen, zehn Meter weiter stand Anni Friesinger mit ihrem Trainer Gianni Romme, es krachte und schepperte, Olympia tanzte einen fetzigen Abschlussball. Nickelback, Alanis Morissette, Avril Lavigne, Simple Plan, mit das Beste, was das Land in Rock und Pop zu bieten hat, fuhren sie noch auf, dann um kurz vor 20 Uhr, ging das Fest zu Ende.
Noch einmal ins Publikum gewunken, danke für den Applaus, hätt's doch gar nicht gebraucht. Dann aufgewühlt von dieser famosen Erfahrung zurück durchs Tor in die Katakomben, und schnell nach rechts, denn geradeaus ging es nur zur Bushaltestelle, von der aus die Athleten ins Olympische Dorf zurückfuhren. Und da wollte man dann doch nicht mehr hin.
Unbehelligt ging es wieder hinauf die fünf Haarnadelkurven, Richtung Block 207. Mantel, Rucksack, Laptop, alles noch da, ein Glück. Zusammenpacken, zurück ins Pressezentrum, dann gleich weiter zum Flughafen. Ein letzter Blick nochmal hinunter ins Stadioninnere. Vorher beim Ausmarsch aus dem Stadion spielten sie vom Tonband U2. „Beautiful Day“. Ja, dieser Tag war wirklich wundervoll. Und später am Abend, im Pressezentrum, gab’s dann endlich noch was zum Essen.
Florian Kinast