Olympia der Armen in Vancouver: «Kein Spiel»

Vancouver (dpa) - Fünf Handschellen anstelle der olympischen Ringe und Plakate wie «Homes not Games» - Unterkünfte statt Spiele: Obdachlose und Olympia-Gegner haben in Vancouver bei den «Poverty Olympics» gegen das Wintersportspektakel und gegen soziale Missstände protestiert.
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Obdachlose und Olympia-Gegner protestieren in Vancouver gegen die Spiele.
dpa Obdachlose und Olympia-Gegner protestieren in Vancouver gegen die Spiele.

Vancouver (dpa) - Fünf Handschellen anstelle der olympischen Ringe und Plakate wie «Homes not Games» - Unterkünfte statt Spiele: Obdachlose und Olympia-Gegner haben in Vancouver bei den «Poverty Olympics» gegen das Wintersportspektakel und gegen soziale Missstände protestiert.

Etwa 500 Personen hatten sich nach Veranstalterangaben nach dem alternativen Fackellauf im Problemviertel Downtown Eastside versammelt. «Die Besucher kommen in eine Stadt, die mehr Obdachlose hat als Olympia-Teilnehmer», verkündete die Poverty-Organisation fünf Tage vor Olympia-Beginn.

Abseits der Touristenpfade hatte Bruce Triggs einen Auftritt wie sonst nur bekannte Sportler nach dem Gewinn einer Medaille: Der 42- Jährige saß auf dem Dach eines TV-Senders, weil er sonst nicht gewusst hätte wohin mit seinen langen Stelzen, auf denen er wie ein Straßenkünstler aussieht. Aus den Taschen seines schäbigen Jacketts schauten ein paar unechte Geldscheine, in sein weiß geschminktes Gesicht hat er sich Dollarzeichen gemalt. Ein Dutzend Mikrofone und Kameras richteten sich auf ihn.

«Ganz Kanada und British Columbia bezahlen für die Olympischen Spiele. Sie sollten die Milliarden von Dollar lieber für etwas anderes ausgeben», sagte Triggs, der in einer Obdachlosenunterkunft wohnt. «Wenn die Leute entscheiden könnten, ob das Geld für diese zwei Wochen Olympia ausgegeben werden soll oder für alles andere, dann würden sie sagen: Natürlich für etwas anderes. Olympia - das ist Kommerz. McDonald's und so...»

Vancouver zählt zu den lebenswertesten Städten der Welt - für diejenigen, die einen guten Job haben oder als Touristen anreisen. Die Schattenseiten wirken hier besonders dunkel, weil die «Perle am Pazifik» mit ihrer Skyline und ihren Jachthäfen nur so glitzert und strahlt. Downtown Eastside liegt nur ein paar Häuserblocks vom Zentrum und vom BC Place Stadium, wo die Winterspiele am 12. Februar mit Riesenpomp eröffnet werden. Es ist das ärmste Viertel ganz Kanadas.

Die UN hatte die Stadtverwaltung schon lange aufgefordert, dringend etwas gegen die hohe AIDS-Rate, gegen Prostitution, Kriminalität und Drogenhandel in dem Quartier mit seinen etwa 16 000 Bewohnern zu tun. Es gibt hier das «Insite», die erste Einrichtung Nordamerikas, wo sich die Abhängigen unter Aufsicht Heroin spritzen können. Ansonsten kämpfen Hilfsorganisationen, Sozialarbeiter und Kirchen gegen das soziale Elend an. Über die Projekte der Stadt und der Provinz British Columbia gibt es sogar eine Ausstellung - «Propaganda-Kiosk», sagen Kritiker, die ein nationales Programm fordern.

Die Poverty-Organisation berichtete, dass sich die Zahl der Personen, die im Großraum Vancouver auf der Straße leben, zwischen 2002 und 2005 verdoppelt habe. Heute würden über 2000 Menschen in Notunterkünften oder auf der Straße wohnen. Behörden sprechen von 1600 Wohnsitzlosen 2008. Seitdem seien 750 Personen untergebracht worden. Zudem gibt es seit dem vergangenen Jahr 500 Notunterkünfte, die allerdings im April wieder aufgelöst werden sollen. «Baut Sozialwohnungen!», forderten die Demonstranten auf Plakaten. «Erhöht die Sozialhilfe» und: «Beendet die Armut - das ist kein Spiel.» Als in der Japanese Hall in Sketchen, Reden und Liedern friedlich, aber deutlich gegen die Kommerz-Spiele gewettert wurde, waren ein paar Teilnehmer der Kundgebung schon nicht mehr dabei: Sie schliefen in den umliegenden Hauseingängen.

«Der Grund, wieso es dieses Viertel gibt, ist, weil es keine Bemühungen gibt, die Leute zu vertreiben», sagte Vancouvers früherer Oberbürgermeister Sam Sullivan einmal. «Hinter der Fassade leben Leute, die natürlich viel Probleme haben, aber es ist eine Gemeinschaft. Manche sehr intelligente Leute sagen sogar, das ist das kulturelle Herz der Stadt.» In Vancouver gehen die Bettler auch kurz vor den Winterspielen noch durch die Fußgängerzone. Im Zuge der Olympia-Bewerbung hatten die Stadtoberen versprochen, etwas für die Ärmsten zu tun: Erschwingliche Häuser zu bauen, Arbeitsplätze zu schaffen - und die Obdachlosen nicht einfach zu vertreiben. Die Chinesen hatten vor den Sommerspielen 2008 in Peking ganze Armenviertel platt gewalzt und Bettler aus der Stadt geschafft.

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