Ösi Melzer: Herzensbrecher im Tennis-Zirkus
GARMISCH-PARTENKIRCHEN - Österreichs Spitzenspieler Jürgen Melzer, der im Davis Cup (Freitag bis Sonntag) gegen die deutschen Asse antritt, war schon mit drei Weltklasse-Spielerinnen liiert.
In Österreich ist auch beim Tennis der Schmäh nicht weit. Und so verbreiten notorische Spottdrosseln über Jürgen Melzer gern den Spruch, die größten Erfolge habe der 27-jährige Profi nicht auf dem Centre Court, sondern bei seinen amourösen Eroberungen im Wanderzirkus gehabt. Einst war Melzer der Mann an der Seite von Grand Slam-Königin Anastasia Myskina, später dann der Lebensgefährte der umschwärmten Tschechin Nicola Vaidisova – und nun ist der draufgängerische Wiener gerade mit der slowakischen Schönheit Dominika Cibulkova zusammen. „Der Jürgen“, sagt ein ausgesucht liebenswürdiger Kollege aus Österreich mit Augenzwinkern, „der weiß halt, wie man die Mädels rumkriegt.“
Den ganz großen Dreh hat Melzer im Tennis noch nicht gefunden. Die Erfolgsformel, wie er sein großartiges Talent in große Siege ummünzen könnte, in Siege, die im Nach-Muster-Österreich hinauskommen würden über eine Erwähnung in den Randspalten der Gazetten. 1999 war Melzer schon als Nachfolger des „Alpen-Boris“ Muster auserkoren worden, als er auf dem grünen Feld der Tennisträume in Wimbledon den Junioren-Wettbewerb gewann. Doch anders als andere Spitzenkräfte im Nachwuchsbereich, als Federer, Roddick oder Djokovic, schaffte Melzer im Erwachsenentennis nie den absoluten Durchbruch, den Sprung in die Top Ten. Mental sei er vielleicht „nicht immer hart genug“ gewesen, sagt Melzer, der jedenfalls nie über diese brutale Durchsetzungskraft verfügte, die den berühmten Landsmann Muster zur legendären Kämpfergestalt im Tourbetrieb machte.
Die Deutschen mögen Melzer gerne. Er ist, durchaus erstaunlich, trotz seiner gefährlichen Linkshändigkeit so etwas wie ihr Lieblingsgegner. Gleich bei Melzers Debütturnier im Wanderzirkus begann für ihn ein langer Leidensweg gegen Nicolas Kiefer. Der Deutsche schlug den Teenager 1999 in der Wiener Stadthalle in Runde zwei, es war der erste von insgesamt sieben Siegen Kiefers – bei Melzer stand dagegen hartnäckig die Null. „Vergessen“ will Melzer diese rabenschwarze Bilanz und fordert lapidar: „Ich muss mich auf mich selbst konzentrieren.“ Auch gegen Kohlschreiber hat er zwei von zwei Partien verloren, nur gegen Veteran Rainer Schüttler kommt er auf eine ausgeglichene 2:2-Bilanz. Mit den meisten Deutschen spielt er häufig, die Zeiten, als Muster mit Becker oder Stich kein Wort sprach und sie noch mit feisten Sprüchen aufs Korn nahm, sind längst vorüber. Mit dem Frankfurter Alexander Waske hat Melzer einst sogar seinen größten Tenniserfolg gefeiert – 2005 erreichte das schlagkräftige Duo das Halbfinale der Australian Open.
Als Solist ist Melzer noch nie in zehn Tennisjahren über die erste Woche der Majors in Melbourne, Paris, Wimbledon oder New York hinausgekommen – und das ist für einen Mann seiner Qualitäten und Vielseitigkeit entschieden zu wenig. Melzer, der einzige österreichische Spieler unter den Top 100 auf Platz 32, ist eigentlich ein Allrounder, der auf jedem möglichen Belag bestens zurecht kommt, ob auf Rasen, Sand oder auf Hartplätzen. Er spielt hart und kompromißlos, hat aber auch die kleinen Feinheiten und Gemeinheiten drauf, vor allem einen exzellenten Stoppball. Manchmal scheint es, als habe Melzer zu viele Optionen parat, als wisse er vor lauter Schlagmöglichkeiten schliesslich nicht, wohin mit dem Ball. Ein beliebter Journalistensatz über ihn in Österreich lautet: „Solange er aus dem Bauch heraus spielt, kann er jeden schlagen. Nur darf er nicht anfangen zu denken.“
Aufgegeben hat Herzensbrecher Melzer den Traum vom großen Coup noch nicht. Weder im Davis Cup noch im regulären Alltag der Tour. Von seinem alten Begleiter und Entdecker Karl-Heinz Wetter hat er sich im vergangenen Herbst getrennt, nun coacht ihn der ehemalige schwedische Profi Joakim Nyström. „Ich will noch mal voll angreifen“, sagt der österreichische Nummer 1-Spieler, den in den vergangenen Jahren, auch dies eine Parallele zu den befreundeten deutschen Kollegen, immer wieder schwere Verletzungen plagten. Beim Nachbarschaftsgipfel setzt Melzer auf das, was er am besten kann: Auf Attacke, auf Angriff, auf Offensive. Auf klares, schnörkelloses Spiel.
Angst und bange ist ihm nicht gerade vor den besten Deutschen, trotz einer Bilanz mit mehr als kleinen Schönheitsfehlern: „Sind wir klare Außenseiter? Sicher nicht“, sagt Melzer beim Blick ins gegnerische Lager, wo keine Überspieler vom Stich-Format lauern. Der Elmshorner, 1994 einer der Hauptdarsteller im 3:2-Drama von Unterpremstätten, ist neben Patrick Rafter und Stefan Edberg ein jugendliches Idol Melzers gewesen. „Angreifer mit Stil und Mut“ allesamt, sagt Melzer, „das ist das Spiel, das auch ich liebe.“ Und das Spiel, das er zeigen will in Garmisch, gegen die Freunde und Rivalen aus Deutschland.
Jörg Allmeroth
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