Oberhaching down under
Florian Mayer aus der Tennisbase vor den Toren Münchens sorgt bei den Australian Open mit seinem Triumph gegen Nikolai Dawidenko für Aufsehen– auch weil er sich zum Sieg flucht.
MELBOURNE Auch im Augenblick des besiegelten Triumphes war der lange Bayer noch mal ganz fix. Bevor die Fans auf dem Außencourt 7 so richtig in Jubel ausbrechen konnten über die erste große Turnierüberraschung bei den Australian Open, lag Florian Mayer auch schon lang gestreckt auf dem Hartplatz darnieder – am Boden und doch obenauf wie selten zuvor in seiner turbulenten Karriere.
„Das war eine ganz tiefe Freude, eine wahnsinnige Genugtuung", sagte der 27-Jährige, der Ex-Weltmeister Nikolai Dawidenko beim 6:3, 4:6, 7:6 (7:5) und 6:4-Erfolg nach allen Regeln der Grand Slam-Kunst ausgespielt hatte, mal mit geradlinigem Power-Tennis, mal mit kunstvollen Trickschlägen, immer aber mit einer Selbstgewissheit und inneren Überzeugungskraft, die man selten zuvor bei dem sensiblen Athleten gesehen hatte.
Vielleicht auch wegen dieser Standfestigkeit in dem brillanten Duell fiel Mayers Jubel später so überschwänglich und leidenschaftlich aus – eine Becker-Säge, geballte Fäuste in den weiß-blauen Himmel über Melbourne, und auf dem Pausenstuhl noch einmal ein herausgebrülltes „Yes, yes, yes“ wie zur Selbstbestätigung, dass der Sieg gegen den unbarmherzigen russischen Wettkämpfer (Setzliste Platz 25) nichts als die reine Wahrheit war und nicht etwa ein schöner Traum. „Das ist einer meiner besten Siege, in den Top Fünf meiner persönlichen Hitliste", befand Mayer, der im besten Tennisalter endlich zum durch und durch professionellen Spieler gereift ist.
Es war auch ein Sieg für die Tennisbase Oberhaching, dessen Aushängeschild der 27-Jährige ist. Dort holte Mayer sich die Wettkampfhärte. Und die Tugenden, um den gefürchteten Ausdauerspezialisten Dawidenko auszuschalten. Der Russe gilt als einer der undankbarsten Gegenspieler im Tourzirkus.
Gegen Dauerläufer Dawydenko holte Mayer alles aus sich heraus und zeigte ganz gegen sein Naturell auch Emotionen. Zum Ende des dritten Satzes brachten einige strittige Entscheidungen den Weltranglisten-36. dermaßen aus der Fassung, dass er einen Punktabzug kassierte. „Solche Ausraster müssen auch mal sein“, sagte Mayer.
Mayer stellte mit seinem Glanzauftritt alle anderen deutschen Sieger in den Schatten, nicht zuletzt seinen langjährigen Freund und Weggefährten aus dem Oberhachinger Tennis-Stützpunkt, die deutsche Nummer 1 Philipp Kohlschreiber: Der Augsburger flirtete im innerdeutschen Duell gegen Tobias Kamke mit dem Desaster eines Erstrunden-Ausscheidens, berappelte sich aber kampfstark noch zu einem 1:6, 4:6, 7:6 (8:6), 6:4, 6:4-Sieg. „Zwischendurch habe ich mich schon im Flieger nach Deutschland gesehen“, sagte Kohlschreiber.
Doch der deutsche Mitarbeiter des Tages war Florian Mayer, der den wieselflinken Dawidenko in vier hochklassigen Akten in Grund und Boden rannte. „Im Kraft- und Ausdauerbereich habe ich einen richtigen Quantensprung gemacht“, sagte Mayer, der im zehnten Jahr seiner Achterbahn-Karriere, die ihn vom Viertelfinale von Wimbledon 2004 zwischenzeitlich bis auf Weltranglistenplatz 430 führte, nun viel gefestigter ist. Vor allem, weiß er nun genau, was er tun muss, um erfolgreich zu sein. „Ich habe bitteres Lehrgeld bezahlt, war auch oft verletzt, manchmal auch, weil ich nicht richtig austrainiert war“, sagte er, „aber jetzt passt das Puzzle irgendwie zusammen.“
„Ich bin insgesamt stabiler geworden“, meinte der Rechtshänder, der bereits beim ATP-Turnier in Sydney mit dem Einzug ins Halbfinale für Aufsehen gesorgt hatte. „Wenn ich immer so spiele wie heute, wären die Top 20 möglich, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg“, sagte der Franke, der in der zweiten Runde am Mittwoch auf den Japaner Kei Nishikori trifft. „Das wird keine leichte Aufgabe, aber ich fühle mich gut“, meinte Mayer.
Jörg Allmeroth