„Nur Gott kennt die Grenze“

Asafa Powell aus Jamaika will Gold über 100 Meter – „ohne Tricks und verbotene Apotheke“. Das Macho-Getue der Rivalen nervt ihn. Ein Interview.
von  Abendzeitung

Asafa Powell aus Jamaika will Gold über 100 Meter – „ohne Tricks und verbotene Apotheke“. Das Macho-Getue der Rivalen nervt ihn. Ein Interview.

Von Thilo Komma-Pöllath

AZ: Die 100 Meter sind, das kann man ohne Übertreibung sagen, das wichtigste Einzelereignis bei Olympia. Herr Powell, haben Sie eine Erklärung, warum ausgerechnet Ihre Disziplin einen Mythos besitzt, der alle in seinen Bann zieht?

ASAFA POWELL: Seit vielen Jahren sind die 100 Meter das singuläre Ereignis, das beweist, wie schnell der Mensch sein kann. Wie hoch ist seine natürliche Grundgeschwindigkeit, wie weit kann er seine Natur, seine Grenzen herausfordern? Das hat immer auch ein bisschen was von Mondlandung oder Raumfahrt. Kann sich der Mensch seinen Gesetzmäßigkeiten entziehen? Und es beantwortet nebenbei die Frage: Wer ist der schnellste Mensch der Welt? Wir 100-Meter-Läufer waren immer schon ganz anders als alle anderen Athleten bei Olympia. Dieser Druck, in dem einen Wimpernschlag alles verpassen zu können, wofür du viele Jahre hart trainiert hast: Alles umsonst. Diesem Druck ist kein anderer Sportler so unmittelbar ausgesetzt wie wir. Es fühlt sich total anders an, wenn du 100 Meter läufst oder 1000 oder 10000 Meter. Wir sind die Extremsportler von Olympia.

Hat diese Faszination nicht auch etwas vom Voyeurismus von Schaulustigen, die den nächsten Weltrekord oder doch den nächsten Doping-Skandal erleben wollen?

Das spielt sicher mit hinein. Aber ich hoffe doch, es geht in erster Linie darum zu sehen, wer der schnellste Mensch auf Erden ist. Du sitzt auf den Rängen oder vorm Fernseher und willst sehen, wer rennt die 100 Meter in ein bisschen mehr als neun Sekunden. Früher oder später wird das die Schallmauer sein: Neun Sekunden fünfzig, vielleicht schneller. Nur Gott kennt die Grenze. Der Wettkampf sollte der Thrill sein. Gedopt wird überall, nicht nur bei uns. Wir sind nicht das schwarze Schaf der ganzen Herde.

Sie geben uns das Stichwort: Die 100 Meter sind eben auch das am stärksten kritisierte und verdächtigte Ereignis der Spiele. Kaum eine Disziplin hat eine derartige Historie von des Dopings überführten Weltmeistern und Olympiasiegern: Marion Jones, Ben Johnson, Gatlin, Montgomery.

Was soll ich jetzt sagen? Dass ich sauber bin? Natürlich bin ich sauber. Das ist mein Selbstverständnis. Ich kann hiermit versprechen: Asafa Powell ist kein Betrüger und wird es niemals sein. Ich kann aber nicht die Hand für irgendjemand anderen ins Feuer legen. Ich weiß ja auch nicht, wie die über mich denken. Ich weiß nur eins: Ich bin clean, und ich kenne auch eine ganze Menge anderer Athleten, von denen ich weiß, dass Sie in Peking sauber an den Start gehen. Die Lage ist nicht hoffnungslos, seien Sie nicht so pessimistisch. Die Leichtathletik ist noch lange nicht tot.

Glauben Sie wirklich, dass das, was als Anti-Dopingbemühungen versucht wird, ausreicht, um realistischerweise einen sauberen Sport zu bekommen?

Nein, sie tun noch lange nicht genug, da müsste noch viel mehr passieren. Gerade im Vorfeld von großen Ereignissen müsste noch viel genauer, viel intelligenter hingesehen werden. Und wir wissen schon lange, die Wissenschaft hinkt immer noch hinterher. Aber es ist nicht mein Job, darüber zu entscheiden, was reguliert werden soll und wie man das Netz gegen die Betrüger noch engmaschiger macht. Und wissen Sie was: Egal wie viele Jahre die Athleten laufen, springen und werfen und Medaillen gewinnen – es ist so lange nicht vorbei, bis sie dann doch geschnappt werden, weil sie auf Drogen waren. So lange dürfen sie sich nicht sicher fühlen, und am Ende zahlt es sich für die Athleten aus, die nicht so berechnend und kaltblütig sind. Ich bin sehr optimistisch, dass die Betrüger eines Tages immer auch zur Strecke gebracht werden und kaum noch einer durchschlüpfen kann.

Verglichen mit den US-amerikanischen Sprintern haben Sie immer schon einen etwas anderen Eindruck hinterlassen: Körperlich wirken Sie auffallend schmal im Vergleich mit den Amerikanern, und Sie haben in der Doping-Diskussion immer sehr offen und selbstkritisch Stellung bezogen.

So wurde ich erzogen. Ich bin aufgewachsen mit fünf Brüdern in einer Pastoren-Familie, in der an Grundwerte wie Ehrlichkeit und Gottvertrauen geglaubt wurde. Und ich habe natürlich ein gottgegebenes Talent, das darf man bei all dem nicht verschweigen. Und ich werde der Welt beweisen, wie schnell ein natürlicher Mensch ohne Tricks und verbotene Apotheke laufen kann. Das hat nichts mit Arroganz zu tun. Ich muss nicht prahlen, was meine Leistung angeht, weil ich tief in mir drin von mir überzeugt bin. Weil ich weiß, wie hart ich zuhause trainiere und welche Zeiten ich imstande bin zu laufen.

Sie teilen also unsere Einschätzung, dass Sie dem Machismo Ihrer Kollegen nichts abgewinnen können?

Oh ja, keine Einwände. Dieses Macho-Getue ist doch kindisch. Ich bin aber auch in einer anderen Position: Ich bin viel schmaler als die anderen Sprinter, gleichzeitig bin ich aber größer und wirke dadurch viel dünner. Ich sehe das aber eher als großen Vorteil an: Dadurch, dass ich nicht so einen Berg Muskeln mit mir herumschleppen muss, bin ich halt auch schneller.

Fast jeder namhafte Sprinter der jüngeren Vergangenheit hatte sein ganz persönliches Doping-Problem. Was können Sie tun, um das Image Ihrer Sportart zu verändern?

Uuh, das ist eine schwere Frage. Wie kann ich für alle anderen Sprinter reden? Ich kann die Dinge nur vorleben: Ich bin clean, immer und zu jeder Zeit. Aber es gibt da draußen eben immer wieder Jungs, die laufen unter Drogen und werden früher oder später auch dabei erwischt. Da ist es natürlich schwierig für die Öffentlichkeit, hinter den Vorhang zu schauen und dann zu sagen: Wir glauben dem Powell, der ist sicher der Einzige, der keine Drogen nimmt, obwohl wir die anderen für verdächtig halten. Ich verstehe das auch, da verliert man natürlich irgendwann den Glauben, gerade wenn man der Beste da draußen ist, der Schnellste von allen.

Wie sehr erwarten Sie von sich selbst, dass Sie in Peking Olympiasieger werden? Bei den bisherigen Großereignissen haben Sie oft die Gold-Erwartungen nicht erfüllen können.

Ich will diese 100 Meter definitiv gewinnen, ich will Gold. Ich habe da noch was gutzumachen, Sie haben Recht. Und ich gehe da raus, um das Rennen mit aller Macht für mich zu entscheiden. Ich muss nur an Gott glauben und an die Märchen, die ich als Kind immer gehört habe, dann gehen meine Träume in Erfüllung. Ich kann jetzt schon versprechen, ich werde besser sein denn je. Aber wenn ich 9,74 laufe und ein anderer schlägt mich, dann werde ich trotzdem überglücklich sein.

Sie beziehen sich auf Ihren Landsmann Usain Bolt, der Ihnen Ende Mai in 9,72 Sekunden den Weltrekord weggenommen hat. Ärgerlich, was?

Nicht ärgerlich, sondern genau die richtige Motivation für Peking. Ich bin heiß. Ich bin auch überzeugt, dass ich gewinnen werde. Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich bei 90 Prozent meiner Leistungsstärke, die restlichen zehn Prozent kommen in der letzten Trainingsphase. Meine Schulterprobleme habe ich überwunden. Jungs, zieht euch warm an, sonst holt ihr euch einen Schnupfen in meinem Windschatten!

Was denken Sie als Hochleistungssportler ganz allgemein über Olympia. Ist das noch das wichtigste Sportereignis für Sie – oder am Ende doch einfach nur eine große kommerzielle Show, in der Politik, Menschenrechte und Tibet-Konflikt hinten anstehen müssen?

Was mich betrifft, ist Olympia immer noch das Allergrößte. Ich sehe das nicht so schwarz-weiß. Jeder will zu Olympischen Spielen, immer noch. Und wenn du die Chance dazu hast, dann gehst du da verdammt nochmal auch hin, dafür hast du gearbeitet.

Und China und die Menschenrechte?

Was sollen wir Sportler denn da tun? Der Geist der Spiele wird auch das Land verändern, da bin ich mir ganz sicher. Und jeder einzelne Sportler kann dazu seinen Beitrag leisten, in der Art, wie er sich dort benimmt – als Sportsmann, der auch ganz bewusst klarstellt: Ich halte mich an die Regeln und glaube an das faire Miteinander, den demokratischen Austausch, ganz egal, ob es um Drogen geht oder Diktaturen. Ich glaube nicht, dass es etwas Größeres gibt als Olympische Spiele, etwas mit einer noch größeren gesellschaftspolitischen Wirkung. Olympia wird uns alle verändern.

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