"Nur 10 Minuten meines Lebens waren olympisch"

Als Schwimmer holte Michael Groß holte drei Gold-Medaillen. Jetzt ist er Buch-Autor – und findet den Sport „eindimensional”.
von  Matthias Kerber
Der "Albatros" heute: Michael Groß
Der "Albatros" heute: Michael Groß © Gregor Feindt

Als Schwimmer holte Michael Groß holte drei Gold-Medaillen. Jetzt ist er Buch-Autor – und findet den Sport „eindimensional”.

AZ: Herr Groß, Sie, Deutschlands Schwimm-Ikone, sind jetzt unter die Autoren gegangen. Erklären Sie mal, wo der feine Unterschied zwischen Ihrem Werk „Siegen kann jeder” und der Autobiographie von Philipp Lahm liegt?

MICHAEL GROSS: Es war meine Bedingung, dass das Buch keine klassische Autobiographie wird. Solche Sportlerbiographien sind nett zu lesen, aber der Sport allein trägt für mich einfach keine Autobiographie. Der Sport in seiner Eindimensionalität kann für Otto Normalverbraucher kein Impulsgeber sein. Ich wollte nicht auf den Sportler, den Olympiasieger reduziert werden. Nur zehn Minuten meines Lebens waren olympisch – mehr habe ich nicht bei den Finals zugebracht.

Haben Sie jemals eine Sportlerbiographie gelesen?

Ehrlich gesagt, nein.

Ist der Titel „Siegen kann jeder” bewusst zweideutig gewählt? Man kann den Satz als Aussage werten, dass Siege nichts Besonderes sind, es kann aber auch als Mutmacher verstanden werden.

Der Titel ist bewusst provozierend gewählt in dem Sinne, dass man das Siegen nicht vom Besiegen abhängig macht. Das ist nur im Sport, in der Wettkampfsituation der Fall. Aber selbst im Sport, wo das Gros der Arbeit das Training, nicht der Wettkampf ist, gibt es diese Sieg/Besiegen-Situation selten. Und im Alltag noch viel seltener. Ich kann da niemanden besiegen, und trotzdem kann ich persönlich siegen. Das macht man, indem man sich Ziele setzt.

Was ist in Ihren Augen ein Verlierer, was ein Versager?

Das ist ein sehr interessanter Ansatz. Ein Verlierer ist der, der im Wettkampf unterliegt, aber am Ende des Tages seine Leistung gebracht hat und sagen kann: Besser ging es nicht. Versager bedeutet, dass man unter seinen Zielen und Möglichkeiten geblieben ist. Das hat bei mir zu der kuriosen Situation geführt, dass ich Sieger und Versager gleichzeitig war. Ich hatte zwar bei einem Rennen den WM-Titel geholt, aber danach kam mein Trainer zu mir und hat zu recht gesagt: „Junge, das war wohl nichts.” Ich bin über eine Sekunde langsamer gewesen als wir uns vorgenommen hatten. Das die anderen noch langsamer waren, war nur Glück. Ich war zwar Weltmeister, aber auch ein Versager.

Es ist auffällig, dass viele deutsche Sportler bei Großereignissen eher versagen, Sportler etwa aus den USA da erst aufblühen. Gibt es auch Mentalitäten, die das Versagen begünstigen?

Im angelsächsischen Bereich ist es sicher so, dass der Wettkampf als Showtime angesehen wird. Dafür hat man die ganze Zeit trainiert, die blühen da richtig auf. Man steht da oben auf dem Startblock und die Uhr steht bei Null. Da hat man noch nichts gewonnen, aber auch nichts verloren. Bei mir selber war es so, dass ich im Training nie auch nur annähernd die Zeiten gebracht habe, die ich im Wettkampf geschafft habe. Ich habe mich auf diese Situationen eben Freude, da kam der zusätzliche Kick. Andere schaffen das nicht, denen muss man dann wieder die nötige Distanz verschaffen, ihnen klarmachen, dass in diesem Moment vor dem Start, wirklich alles bei null ist, dass man noch nichts verloren hat. Ich würde das aber eher auf den Menschen reduzieren, nicht auf eine Nationalität.

Britta Steffen hat bei der WM ziemlich alles verloren, flüchtete dann fast von der Wettkampfstätte und verzichtete auf das Staffelrennen...

Ich will darüber kein Urteil fällen. Das war ihre Entscheidung, die man respektieren muss. Ich hätte mich aber anders entscheiden. Ich habe in der Staffel immer meine allerbesten Leistungen gebracht. Es gibt nichts Schöneres als in der Staffel zu starten. Die fangen einen dann auch in den schlechten Momenten auf. Aber eben nur, wenn man auch in den guten da war.

Ein Mittel zum Erfolg ist leider auch Doping...

Jeder Sportler ist da für sich selbst verantwortlich, da akzeptiere ich auch keine Ausreden. Im Sport ist die Fairness ein zentraler und elementarer Begriff. Der Sport ist der idealtypische Wettkampfraum. Je unfairer es im wirklichen Leben zugeht, je mehr dort ein Hauen und Stechen regiert, umso wichtiger wird es für die Menschen, dass es noch einen Raum gibt, in dem es mit fairen Mitteln zugeht. Da ist eine tiefe Sehnsucht nach diesem Ideal der Fairness. Ich sehe das so: Nur weil in der freien Wirtschaft Regeln gebrochen werden, etwa Korruption herrscht, darf das im Sport nicht auch so sein.

Ian Ihorpe, die australische Schwimm-Legende, hat nach fünf Jahren Pause gerade sein Comeback gegeben. Warum können so viele große Sportler – etwa Michael Schumacher oder Vitali Klitschko – nicht ohne den Sport?

Zunächst muss man sagen: Jeder Sportler, der zurückkehrt, geht ein Riesen-Risiko ein. Eigentlich kannst du nur verlieren. Aber warum tun sie es dann trotzdem? Der entscheidende Punkt ist, dass sie in ihrem Leben nichts aufbauen konnten. Das Schlimmste ist es, daheim zu liegen, viele Millionen auf dem Konto zu haben und keinerlei Herausforderung mehr im Leben zu haben. Diese Sinnentleertheit im normalen Leben ist es, die dazu führt, dass sie aus dieser Not heraus wieder in den Sport zurückkehren. Der Sport ist eindimensional, mit klaren Zielen und Vorgaben. Mein fährt im Kreis, man schwimmt seine Bahnen. Das sind isolierte Vorgaben, die der Einzelne beherrschen kann. Das echte Leben ist aber viel komplexer, viel unbeherrschbarer. Damit kommen sie nicht zurecht, deswegen kehren sie in diese Kleinwelt zurück. Wohlwissend, dass das Comeback – gemessen am eigenen Standart – in die Hose gehen muss.

Sie reden und schreiben über Ziele, über Siege, über Erfolge. Was halten Sie denn von Menschen, die sich gar keine Ziele setzen, aber da bei einfach glücklich sind?

Letztendlich sage ich: Das ist okay. Wenn einer wirklich auf der einsamen Insel leben will, ist das vielleicht auch ein Erfolg, er definiert sich nur anders. Andererseits finde ich es aber schade, wenn ein Mensch nicht mal versucht, seine Potenzial auszureizen. Es ist mir zu wenig, einfach nur geboren zu werden, um wieder zu verschwinden. Aber das muss jeder selber wissen. Deswegen heißt das Buch eben auch „Siegen kann jeder” und nicht „siegen muss jeder”.

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