Nowitzkis Held
Der Triumph auf dem Rasen von Halle hat Tommy Haas’ Karriere wieder neu belebt – Konkurrenten und Freunde Freude sich mit ihm. Nun geht es um ein Ticket für Olympia in London.
HALLE Groß und stark war er schon damals, der junge Mann aus Würzburg, den heute selbst in Amerika jeder kennt. Doch Anfang der 90er Jahre machte Dirk Nowitzki (heute 2,13 Meter groß) noch die Tennisplätze unsicher, ein Hüne, der ziemlich gewaltig die Aufschläge ins gegnerische Feld prügelte, aber auch als guter Techniker galt. Im Halbfinale der Bayerischen Jugendmeisterschaften traf er dann einmal auf einen Burschen, dem man in Fachkreisen bereits eine große Zukunft voraussagte – Tommy Haas. Nowitzki siegte, Haas verlor. Und zwar recht tränenreich, wie überliefert ist.
Aus den Augen verloren habe sie sich nie, der Basketball-Weltstar und der ehemals Weltranglisten-Zweite. Und vielleicht kam an diesem Sonntagabend, dem 17. Juni 2012, dann auch das größte Kompliment für den frischgebackenen Halle-Champion Tommy Haas, für den Bezwinger des Maestros Roger Federer, von seinem alten Kumpel Dirk Nowitzki: „Er ist ein absolutes Phänomen”, sagte Nowitzki, zog symbolisch den Hut vor dem Comeback-König und merkte auf Twitter noch an: „Gratulation, Du bist mein Held.” Nowitzki, auch ein Mann der immerwährenden, unverdrossenen Anläufe zu Pokaltriumph, konnte es unmittelbar nachempfinden – dieses einmalige Haas-Gefühl, das Genugtuung über den außergewöhnlichen Triumph.
Schon deshalb, weil er noch vor ein paar Wochen verfolgt hatte, wie Haas sich bei Challenger-Turnieren herumquälte und durch die Qualifikation der großen Events schlug. „Es war der harte Weg. Aber auch der richtige Weg. Nur so habe ich den Anschluß an die Weltspitze zurückgefunden”, sagte Haas, der den Erfolg am Sonntagabend ausnahmsweise auch mal mit einem Gläschen Schampus begoß.
In der Achterbahnfahrt dieser Karriere zurück auf Platz 49, das war fast zu schön, um wahr zu sein. Und versetzte selbst den Präsidenten des Deutschen Tennis Bund, den Banker Karl-Georg Altenburg, so richtig in Schwingung: „Dieser Tommy Haas ist sensationell. Ein echtes Modell für unsere jungen Spieler.”
Gerade eben noch, Haas erzählte es mit Verwunderung in der eigenen Stimme, sei er mit dem Taxi zur French Open-Qualifikation gefahren, weil es keinen Shuttle für die Zweite Liga-Truppe gegeben habe. Und wo er in Paris anfangs noch gegen Namenlose des Tourbetriebs um das Ticket fürs Hauptfeld zu kämpfen hatte, gegen den Argentinier Guido Pella oder den Kolumbianer Roberto Farah etwa, versiebte er jetzt einem gewissen Roger Federer im „deutschen Wimbledon” in Ostwestfalen den sechsten Pokalsieg und stellte sich selbst aufs Podest – stolzer als Champion als jemals zuvor. „Das ist ein Moment für die Ewigkeit. Da werde ich noch in 50 Jahren dran denken”, sagte Haas, als am Abend die Größe des Augenblicks in sein Bewußtsein eingesunken war, „ich stehe neben Roger auf dem Bild der Finalisten – und ich habe den Pokal. Wow.”
Mit großer Gelassenheit betrachtete Haas – der nun in Wimbledon durchaus als Geheimfavorit gelten darf – die Irrungen und Wirrungen, die wieder einmal kurz vor den Olympischen Spielen um die Tennis-Nominierungen ausgebrochen sind. „Wenn ich dabei bin – gut. Wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm. Dann spiele ich bei einem Hartplatztunier in Amerika”, sagte Haas.
Doch wahrscheinlicher ist da schon, dass der Internationale Tennisverband den Spuren der hohen Wimbledon-Herren folgt – die hatten den 34-jährigen Familienvater ja schon vor Halle mit einer Wild Card ausgestattet. Als Auszeichnung für seine Lebensleistung im Tennis könnte das nächste Freiticket folgen, für einen, der schon vor zwölf Jahren als junger Kerl die Silbermedaille in Sydney gewann. „Keiner”, sagte Roger Federer, „könnte das mehr verdienen als Tommy.”