Nowitzki: Jetzt ist er der Größte!
Die Uhr zeigt noch zehn Sekunden Spielzeit an, da versteht Dirk Nowitzki, was er gerade vollbringt. Aber er jubelt nicht, er ballt keine Faust, er springt nicht in die Luft. Er fasst sich mit beiden Händen an den Kopf, starrt ins Leere. Dirk Nowitzki, NBA-Champion, wirklich?
Wenig später schrillt die Schlusssirene. Die Dallas Mavericks haben die Miami Heat in deren Halle mit 105:95 geschlagen und damit die Playoff-Finalserie in der US-Profiliga NBA mit 4:2 gewonnen. Nach 13 Jahren und 1117 Spielen in der besten Basketballliga der Welt hat sich Nowitzki, der als bester Spieler der Playoffs geehrt wurde, unsterblich gemacht und steht nun in einer Reihe mit Michael Jordan, Magic Johnson und Larry Bird.
Aber er zeigt es nicht. Er flieht in die Umkleidekabine. „Ich habe ein bisschen geheult“, sagte der Würzburger nachher, „ich wollte kurz für mich allein sein, war in der Dusche in der Umkleide und habe mich dann wieder gefangen.“ Dann kehrte er zurück aufs Parkett, in die Arme seiner Mitspieler und Trainer Rick Carlisle. Dirk Nowitzki, NBA-Champion. Wirklich!
Die Erfolgsgeschichte des besten europäischen Basketballers ist einzigartig. Nicht nur, weil vor ihm noch kein Deutscher den NBA-Titel geholt hat, sondern auch, weil der 32-Jährige immer greifbar geblieben ist. Weil er gelernt hat, dass auch ein Kontostand im dreistelligen Millionenbereich den Charakter keinesfalls verderben muss und dass harte Arbeit, jahrzehntelange harte Arbeit, sich auszahlt.
Es war im Jahr 1997, da gab Dirk Werner Nowitzki sein erstes großes Fernsehinterview. Ein 2,13 Meter großer 19-Jähriger mit Bürstenschnitt und Ohrring. Warum er trotz Angeboten aus der halben Welt als Nationalspieler immer noch in Würzburg in der zweiten Liga spiele, wurde er gefragt. „Wollen Sie denn nicht reich und berühmt werden?“ Das schon, sagte Nowitzki, „aber das hat noch Zeit“.
Der Beitrag des Deutschen Sportfernsehens ist heute auf der Videoplattform youtube zugänglich. Er zeigt anschaulich, warum Freunde und Familie betonen, er sei immer der Alte geblieben. Abgesehen davon, dass die Haare mittlerweile etwas länger sind (und der Ohrring weg ist), hat sich an Nowitzkis Habitus nichts verändert. Er mag manchmal ein wenig distanziert wirken, aber er ist immer geduldig, freundlich und entspannt.
Das war so, als er 1997 in einem kleinen Fernsehstudio über sein Abitur mit der Note 3,3 sprach und das war Montagfrüh so, als er auf der Pressekonferenz nach dem gewonnen Finale vor Journalisten aus aller Welt über den Triumph sprach, der seine Karriere vollendet hat. „Ich kann es immer noch nicht fassen. Wir haben so hart gearbeitet, sind durch alle Höhen und Tiefen gegangen. Es ist unglaublich“, sagte Nowitzki.
Dabei war noch nicht einmal absehbar, dass er überhaupt Basketballer werden würde. Der junge Dirk bewies bei mehreren Ballsportarten erstaunliche Fähigkeiten, versuchte sich wie Vater Jörg im Handball (weniger erfolgreich) und im Tennis (ziemlich erfolgreich). Am Ende setzten sich die Gene von Mutter Helga, ehemalige Basketball-Nationalspielerin, und die Vision seines Mentors und Trainers Holger Geschwindner durch. Der hatte ihn mit 13 Jahren in der Schulmannschaft des Würzburger Röntgen-Gymnasiums entdeckt und von da an geformt.
Der ehemalige Basketballprofi war es, der dem heranwachsenden und eine zeitlang nur mäßig enthusiastisch trainierenden Nowitzki die entscheidende Frage stellte: „Wo willst du hin mit deinem Talent?“ Ob er einer der besten von Deutschland werden wolle, oder einer der besten der Welt, fragte Geschwindner. Im erstem Fall hätte er das Training sofort eingestellt. Nowitzki entschied sich für die zweite Option – und noch mehr Arbeit.
Er weiß, was er Geschwindner, mit dem er noch am Tag vor dem entscheidenden Finale trainierte, zu verdanken hat. Auch deswegen stellte er ihm 2006 nach dessen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung eine Kaution von 15 Millionen Euro.
Von seinem Mentor begleitet, stieg er mit 16 bei der DJK Würzburg ein, dem ersten und einzigen Verein, für den er in Deutschland bisher gespielt hat. Rasch entwickelte sich Nowitzki zum dominierenden deutschen Spieler der zweiten Bundesliga. „In Würzburg kann ich mich am besten weiterentwickeln“, sagte er.
1998, Nowitzki war gerade einmal 20 Jahre alt, kam allerdings der Zeitpunkt, an dem er sich in Deutschland eben nicht mehr weiterentwickeln konnte. Im NBA-Draft 1998, der jährlichen Veranstaltung, bei der sich die US-Teams bei den besten internationalen und College-Spielern bedienen, wählten ihn die Milwaukee Bucks aus. Und begingen daraufhin den wohl schwersten Fehler ihrer Geschichte: Sie tauschten Nowitzki zu den Dallas Mavericks, gegen den übergewichtigen und mittlerweile verstorbenen US-Amerikaner Robert Traylor, Spitzname „der Traktor“.
Als „German Wunderkind“ wurde Nowitzki bei seiner Ankunft in Dallas gefeiert, brauchte allerdings zwei Spielzeiten, ehe er sich an die Physis und das Tempo der neuen Liga gewöhnt hatte.
Mark Cuban, dem leidenschaftlichen und exzentrischen Teambesitzer der Mavericks, war schnell klar, dass der leidenschaftliche Musiker (Gitarre und Saxofon) der tragende Spieler seiner Mannschaft sein würde. Jahr für Jahr tauschte er Spieler aus der ganzen Liga, um mit ihnen an der Seite des Deutschen den Titel zu holen, Jahr für Jahr spielte Dallas überdurchschnittlich gut, scheiterte aber in den Playoffs. Wie 2006, als die Mavericks ebenfalls gegen Miami im Finale zwei Spiele gewonnen hatten, nur um dann vier in Folge und die gesamte Serie zu verlieren. „Das tat sehr weh“, sagte Nowitzki.
Ein Jahr später wurde er zum MVP, dem wertvollsten Spieler aller Mannschaften gewählt. Danach stellte er einen persönlichen Rekord nach dem anderen auf. Nowitzki wurde geehrt und geschätzt, bei den Coaches für seinen Trainingseifer, bei den Fans für seine Zugänglichkeit. Nur ein Titel hatte ihm in seinen 13 Jahren in der NBA, in denen er gerade einmal 31 Spiele verpasst hatte, weiter gefehlt.
Und gerade als die Experten in den USA schon den Stempel „großartiger Spieler, aber kein Gewinnertyp“ herausgeholt hatten und Nowitzki auf die Stirn drücken wollten, lief der zur Form seines Lebens auf.
Dirk Nowitzki ist der beste Basketballer in der besten Liga der Welt, er hat den Dallas Mavericks den einzigen Titel in der Vereinsgeschichte geschenkt. Was er geschafft hat, ist nicht weniger als eine der großartigsten Leistungen, die ein deutscher Sportler je vollbracht hat. Und dabei ist er immer noch der Junge aus Würzburg geblieben.