Nothelfer: Ivan, der Schreckliche
Andy Murray, Mitfavorit bei den Australien Open, will endlich einen Grand-Slam-Titel gewinnen – und reaktiviert dafür Altmeister Ivan Lendl (51). Es ist der erste Trainerjob für die Tennis-Legende.
Die größte Überraschung servierte der letzte der Großen Vier auf den allerletzten Drücker. Es war ein paar Stunden vor Mitternacht, da verkündete der stets unberechenbare Andy Murray, die Nummer 4 der Tennis-Weltrangliste, einen erstaunlichen Coup: Mit sofortiger Wirkung, so teilte der junge Schotte mit, werde ihn der legendäre Altmeister Ivan Lendl (USA) als Vollzeittrainer betreuen. Schon bei den Australian Open, wo er Favorit ist, werde er „auf die gewaltige Erfahrung und das große Wissen“ des einstigen Frontmannes des Wanderzirkus vertrauen, sagte Murray, „ich habe immer gesagt, dass ich nur einen Trainer verpflichten werde, der mich wirklich weiterbringt. Und das ist Ivan Lendl ohne Zweifel.“
Verabredet hatten Murray und Lendl ihre aufsehenerregende Liasion in der Woche vor Weihnachten, als der 24-Jährige in Miami im Trainingslager weilte. Anders als seinem Altersgenossen Novak Djokovic, dem überragenden Spieler 2011, fehlte Murray bisher die eiserne mentale und spielerische Härte zum ganz großen Tenniscoup. Das soll nun Ivan Lendl (51) richten, der fitteste Spieler seiner Zeit, ein erster Prototyp des modernen Tennisprofis, ein zäher, verbissener, extrem methodischer und konsequenter Arbeiter. Aber auch einer, der die komplizierten psychologischen Muster in Murrays Wirken nachempfinden kann: Denn bevor er auf fast allen bedeutenden Centre Courts der Welt seinen Siegeszug antrat (mit der Ausnahme Wimbledons), verlor Lendl die ersten vier Major-Finals und galt schon als abgeschrieben im Kampf um die Toptitel.
Murray teilte so weit das Schicksal seines neuen Übungsleiters – in den ersten drei Grand Slam-Endspielen ging er ausnahmslos als Geschlagener vom Platz, zuletzt im Australian Open-Finale 2011 gegen Djokovic. Fast immer wirkte er in dieser zugespitzten Drucksituation abgeschnitten von seinen wahren Kräften und Fähigkeiten. Und auf der Tribüne saß niemand von Format, der ihm irgendwie aus seiner Misere hätte helfen können, seinen letzten echten Topcoach, den Amerikaner Brad Gilbert, hatte Murray schon vor drei Jahren verstoßen. „Ivan wird mir jetzt neue Perspektiven eröffnen. Da bin ich ganz sicher“, glaubt Murray, der in dieser Woche seinen Saisonauftakt im australischen Brisbane absolviert, „so viel vom Tennis wie er verstehen nur wenige.“
Lendl hatte sich nach seiner Karriere mit allein acht Grand Slam-Erfolgen vollständig aus der Tour-Maschinerie zurückgezogen. Statt wie viele Ehemalige im Tross der Profinomaden zu verbleiben, entweder als Kommentator oder auch als Trainer, trennte der im tschechischen Ostrau geborene Großmeister („Ivan, der Schreckliche“) alle Verbindungsstränge ab und kümmerte sich stattdessen um die Karrieren seiner fünf Töchter, im Golf und im Reiten. Erst 2008, die Töchter standen nun auf eigenen Beinen, erwachte zaghaft wieder ein Interesse am Spitzentennis, und ehe man sich versah, war Lendl auch schon in die Karawane der Seniorentour eingeschwenkt. Auch in Deutschland spielte er Schaukämpfe mit alten Freunden und Rivalen, den Steebs, Lecontes oder Stichs. Was auffiel, war neben der gewachsenen Leibesfülle vor allem die messerscharfe Beobachtungsgabe und der trockene Humor des Mannes, der einst eine zum Fürchten verbiesterte Miene aufziehen konnte.
„Er ist einer der lustigsten und interessantesten Menschen. Und einer, dem im Tennis nichts fremd ist“, sagt John McEnroe, einst Lendsl Rivale, „ich bin sicher, dass Andy echt profitieren wird von dieser Zusammenarbeit.“
Allerdings hat die Sensation Skeptiker auf den Plan gerufen. Zweifler verwiesen auf die schwierige Trainer-Historie anderer Ex-Größen der Branche, die in der Liaison mit aktuellen Spitzenkräften scheiterten. Einer von ihnen war Jimmy Connors, der ebenfalls aus einem Eremitendasein in den Tenniszirkus zurückkehrte und mit Ballermann Andy Roddick eine hügelige Wegstrecke ging – auf und nieder, immer wieder.
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