Norbert Schramm wird 60: Ich bin mit mir im Reinen

München - AZ-Interview mit Norbert Schramm: Der Nürnberger war zwei Mal Europameister und zwei Mal Vizeweltmeister im Eiskunstlauf. Am Dienstag feiert er seinen 60. Geburtstag.
AZ: Alles Gute zum Sechzigsten, Herr Schramm, die große Geburtstagsparty fällt aber wegen Corona wohl aus, oder?
NORBERT SCHRAMM: Ich hatte nur eine kleine Feier geplant, geht halt jetzt nicht. Ich habe schon so viele Geburtstage erleben dürfen, halb so schlimm.
Zu Ihrem Fünfzigsten bezeichneten Sie sich als "freiberuflich tätigen Lebenskünstler". Sind Sie das noch?
Damals war ich in meiner Auszeit, als ich erst auf dem Jakobsweg beim Pilgern war, dann zwei Jahre in Südamerika lebte, schließlich als Fotograf nach New York zog. Heute würde ich das nicht mehr sagen. Ich arbeite als Immobilienfachwirt in Deggendorf, fühle mich da super gut aufgehoben. Ich kann mir gut vorstellen, da bis zur Rente zu bleiben.
Erwartungen: Machst du noch, was du bist?
Sie haben Eiskunstlauf einmal als eine Form des Exhibitionismus bezeichnet, wieso das?
Der Satz wurde damals schön ausgeschlachtet. Aber es stimmt, man läuft in einem hauchdünnen Anzug, angestarrt von tausenden Zuschauern in der Halle, am Bildschirm. Natürlich verkaufst du damit auch deinen Körper und prostituierst dich. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich beim Publikum insgesamt gut ankomme. Aber: Ab einem gewissen Punkt musst du anfangen, dich zu verbiegen. Wenn du nicht mitspielst, bist du schnell weg vom Fenster. Irgendwann fing ich da auch zu zweifeln an, ob das das Richtige ist für mich.
Sie meinen, weil Sie immer ein Image bedienen mussten? Als Strahlemann und Sonnyboy?
Richtig. Wenn du nicht mitspielst, bist du schnell der Buhmann. Da denkst du schon: Machst du noch, was du bist oder etwas, was man gar nicht sein möchte. Ich fühlte mich wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, mit zwei Seelen in meiner Brust, wo man dauernd hin- und herspringen muss. Sein und Schein. Da verlierst du irgendwann deine Identität.
Psychosomatische Gesichtslähmung
War es auch dieser Druck, der zu Ihrer ersten halbseitigen Gesichtslähmung führte?
Gut möglich. Ich hatte später das Gleiche auf der anderen Gesichtsseite, in der Berliner Charité haben sie mir damals gesagt, dass es kein Tumor oder Virus war, sondern psychosomatisch bedingt. Beim zweiten Mal spielte sicher die Trennung von meiner Frau eine Rolle. Deswegen die Entscheidung, mein Leben runterzufahren, Stress zu reduzieren. Heute geht es mir wieder gut damit.

Ihrem Gesicht ist das auch kaum mehr anzusehen, spüren Sie noch Einschränkungen?
Wenig. Nur pfeifen kann ich noch immer nicht. Anfangs war’s ein Schock, wenn du in den Spiegel schaust und aussiehst wie Karl Dall, dir eine Seite runterhängt und Suppe aus dem Mund läuft.
"Es kann sich keine langfristige Kontinuität entwickeln"
Zurück zu Ihrem einstigen Sport, wie gefällt Ihnen die Entwicklung im Eiskunstlauf?
Gar nicht. Mit dem neuen Wertungssystem gibt es keine Individualität mehr. Es geht nur darum, viele Punkte zu sammeln, und weil es die meisten Punkte bei Vierfachsprüngen gibt, muss man die auch draufhaben. Deswegen streben alle Läufer nach demselben System, jeder macht das gleiche. Eiskunstlauf ist zu einem Luftkampf verkommen. Nur noch drehen, drehen, drehen. Wer die höchste Rotationsgeschwindigkeit hat, gewinnt.
Zu Ihrer Zeit schien es viel mehr auf Charisma anzukommen, auf ästhetische Ausstrahlung, spielerischen Witz.
Alles vorbei. Heute schauen alle Körper gleich aus, auch die Musik ist zweitrangig. Es kann sich keine langfristige Kontinuität entwickeln. Dann gewinnt mal eine magersüchtige 14-Jährige, und wenn die mit 16 oder 18 wieder zu schwer ist, kommt die nächste mit 14. Damals hatten wir Läufer wie Toller Cranston, Scott Hamilton, auch meinen Namen kennen heute noch viele. Ich selbst kann Ihnen nicht sagen, wer gerade Weltmeister ist. Es interessiert mich auch nicht. Letztes Jahr habe ich mir die EM angeschaut. Ich hab abgedreht, weil mir die Zeit zu schade war.
Würden Sie heute nochmal gern Eiskunstläufer werden?
Auf keinen Fall. Könnte ich auch gar nicht. Zu breite Schultern, zu viel Hintern. Vieles im Sport befremdet mich heute, viele Sportarten sind nur noch Dauerwerbesendungen, wo man mehr die Logos von Sponsoren sieht als die Athleten. Es geht nur noch ums Geld. Und Olympia ist nur noch eine zweiwöchige Party für Funktionäre, die realitätsfern in einer ganz eigenen Welt leben.
Nicht-Affairen und alte Mauscheleien
Ums Geld ging es schon immer, und Mauscheleien waren auch an der Tagesordnung. Erzählen Sie mal von Sarajewo 1984.
Am Tag, bevor der Wettkampf begann, standen meine Eltern im Deutschen Haus, als ein NOK-Vertreter zu ihnen kam. Er sagte, er habe von einem russischen Funktionär erfahren, dass ich Platz neun belegen würde. So kam es dann, ich war im Pflichtprogramm Neunter und im Gesamtklassement auch. Hintergrund waren interne Querelen mit zwei Lagern im deutschen Verband, und das Lager, das nicht auf meiner Seite war, hatte großen Einfluss im Klüngel der Preisrichter. Am Rande, das besagte NOK-Mitglied war Thomas Bach.

Aufklären müssen Sie uns noch über eine Episode nach Ihrer Sternstunde, als Sie 1983 Ihren EM-Titel verteidigten. Wie war das mit Kati Witt?
Katarina hatte damals erstmals die EM gewonnen, am Abend gab es ein Bankett, bei dem die Idee aufkam, ob sie und ich nicht einen Walzer tanzen wollten. Weil sie keinen Walzer konnte, sind wir raus in die Küche zum Üben, doch kaum legte ich meinen Arm um sie, kam schon einer ihrer Aufpasser. Wir erklärten es ihm, doch irgendwann hörte ich viele Jahre nach dem Mauerfall, dass in ihrer Stasi-Akte über diesen Vorgang 33 Seiten vermerkt waren. Jedenfalls wurde uns von gewissen Medien an diesem Abend eine Liebesaffäre angedichtet.
Und?
Da war gar nichts. Wir haben uns zuletzt bei einer Fernsehshow getroffen und kurz geplaudert, wir waren mal fünf Wochen bei "Holiday on Ice", aber wir hatten und haben wirklich nicht viel gemeinsam.
Sie sagten kürzlich, Sie träumen davon, Ihren Lebensabend im Allgäu mit jemandem zu verbringen, der die Berge genauso liebt wie Sie. Das klang ja fast wie ein Partnerschaftsinserat.
Tatsächlich habe ich keine Beziehung, und natürlich würde ich mir wünschen, eine Partnerin zu haben, mit der man Erlebnisse teilt, der man zuhört, Geschichten erzählt. Aber das kann man nicht erzwingen. Mir geht es jedenfalls sehr gut, und ich glaube, ich kann sagen: Ich bin mit mir im Reinen.
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