Nichts als die Williamses

„Geistlos, ohne Charme und Raffinesse!“ Das Damentennis befindet sich weiter in der Krise, und daran ändert auch der erneute Sister-Act im Finale von Wimbledon wenig.
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Im Doppel miteinander, im Einzel-Finale Gegnerinnen: Serena (l.) und Venus Williams.
Bongarts/Getty Images Im Doppel miteinander, im Einzel-Finale Gegnerinnen: Serena (l.) und Venus Williams.

„Geistlos, ohne Charme und Raffinesse!“ Das Damentennis befindet sich weiter in der Krise, und daran ändert auch der erneute Sister-Act im Finale von Wimbledon wenig.

LONDON In der Abendshow „Today at Wimbledon“ platzte selbst der liebenswürdigen Virginia Wade der Kragen: „Was ich hier von vielen Spielerinnen sehe, ist geistloses Tennis ohne Charme und Raffinesse“, sagte die letzte britische Wimbledon-Championesse kopfschüttelnd, als sie zum bedenklichen Zustand der Damentour befragt wurde. Und legte nach: „Ich sehe sogenannte Stars, die sich dauernd mit geballter Faust aufpumpen, die nach einem Punktgewinn herumschreien, als hätten sie das Match gewonnen. Denen täte es gut, sie würden häufiger ihren Kopf gebrauchen.“

Ausgelöst hatte das Lamento englischen Lady ein peinlicher Auftritt der nominell weltbesten Spielerin. Als Nummer 1 der Rangliste war Dinara Safina am Donnerstagabend aufs Feld der Tennisträume geschritten, auf Wimbledons heiligen Centre Court, doch was dann in den nächsten 51 Minuten im Halbfinalduell gegen Venus Williams passierte, glich eher einer „öffentlichen Hinrichtung“ (BBC-Kommentator John Inverness) als einem ernsthaften Wettkampf.

Als ob jemand die „Beschleunigungstaste an einem Videorecorder“ gedrückt hätte, so kam der „Sun“ der „Blitzsieg“ von Big Sister Venus vor - ein Erfolg ohne Schweiß und Sorgen, der das vierte schwesterliche Finale am Samstag (15 Uhr, DSF live) im All England Club perfekt machte.

"Venus hat gezeigt, warum sie die Königin von Wimbledon ist"

Die Williamses und sonst fast nichts - es war einmal mehr die ernüchternde Rechnung nach zwei Grand Slam-Wochen an jenem Spiel-Platz, an dem Siege wie nirgendwo anders zählen. Und wer tatsächlich am Donnerstagabend, nach der 1:6, 0:6-Abfuhr gegen Venus Williams, noch einmal einen Blick auf die Computer-Weltrangliste warf und dort als Frontfrau jene unglückliche Dinara Safina erblickte, der musste eher glauben, dass ein Virus die Positionen durcheinandergewürfelt hatte. „Was zählt, sind die Siege bei Grand Slams“, sagte Pam Shriver, die ehemalige Präsidentin der Profigewerkschaft WTA, „es ist schwer zu vermitteln, wie jemand die Nummer 1 sein kann ohne einen einzigen Major-Erfolg.“ Safina: „Venus hat mir gezeigt, warum sie die Königin von Wimbledon ist.“

Mit dem Produkt Damentennis ist aber nicht erst seit den Kalamitäten von London etwas faul. Denn eigentlich hat sich der Wanderzirkus der Frauen noch immer nicht von den Rücktritten der populären, spielerisch attraktiven Belgierinnen Justine Henin und Kim Clijsters erholt, die einen Gegenpol zu den vielen austauschbaren Spielerinnen aus dem näheren und ferneren Osten Europas bildeten. Hinzu kommen die Unsicherheiten beim Comeback der Chefin der Glamour-Abteilung, Maria Scharapowa, die nach ihrer Schulteroperation noch nicht um die großen Titel mitspielen kann. Und die beiden Williams-Schwestern? Als freischwebende Künstlerinnen, die sich ihre Turniere nach Lust und Laune aussuchen und eigentlich nur bei den Grand Slams in den sechsten Gang schalten, sind sie eher ein Alptraum für die Vermarktungsstrategen der Tour. „Sie suchen nach einer Heldin?“, ist die aktuelle Reklameoffensive der WTA überschrieben. Aber leider ist das eine seriöse und keine rhetorische Frage.

Nicht einmal Wimbledons Gralshüter konnten sich gegen den Trend zum schönen Schein im Damentennis wehren, in das Sponsor Sony Ericsson von 2005 bis 2011 insgesamt 88 Millionen Dollar hineinpumpt. „Aussehen vor Klasse“ fragte „Daily Mail“ und bekam als Antwort von Wimbledons PR-Mann Johnny Perkins: „Der Look einer Spielerin ist ein Faktor.“

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