Neureuther: "Ich hatte ja nur noch Slalomstangerl in der Birne"

Deutschlands bester Skifahrer über seine mentale Krise bei den Rennen, sein Leiden bei Rieschs WM-Party und den Geburtstag des Papas in Alaska
von  Abendzeitung
Felix Neureuther fehlte es in diesem Winter oft an Stabilität. Auch wie hier beim Heimrennen in Partenkirchen.
Felix Neureuther fehlte es in diesem Winter oft an Stabilität. Auch wie hier beim Heimrennen in Partenkirchen. © Minkoff/Augenklick

Deutschlands bester Skifahrer über seine mentale Krise bei den Rennen, sein Leiden bei Rieschs WM-Party und den Geburtstag des Papas in Alaska

AZ: Herr Neureuther, noch ein Slalom an diesem Samstag, dann ist die Saison vorbei. Froh, dass der Winter zu Ende geht?

FELIX NEUREUTHER: Eher traurig. Mir macht nichts mehr Spaß, als Rennen zu fahren. Ich Freude mich eher schon wieder auf nächsten Winter, weil ich mir denke, dass ich da vieles besser machen kann.

Was denn?

Ich habe extrem viel gelernt. Wie ich wieder rauskomme, wenn ich komplett am Boden bin. Wie ich mich aufbäumen kann, damit ich doch wieder rauskomme aus dem Loch, wenn ich eine Negativserie habe wie im Januar.

Da folgte ein Ausfall dem nächsten. Sie wirkten völlig blockiert, in einem Sog, einem Abwärtsstrudel. Wohl ein mentales Problem.

Das war ganz extrem. Im Training war ich immer ganz schnell. Umsetzen hab’ ich es aber nicht können. Erst war’s noch ganz gut. Anfang Januar Dritter in Adelboden, aber dann ging’s los. Wengen raus, Kitzbühel raus, Schladming raus. Auf einmal ging gar nichts mehr. Ich wusste nicht mehr, wie ich skifahren soll. Eigentlich totaler Schmarrn, aber am Ende war ich so verunsichert, dass ich oben am Start stand und nicht mehr wusste, wie ich die Skischuhe richtig zumachen soll. Richtig krass. Unglaublich, wie sich das im Kopf festsetzt. Ich war richtig tief drin in der Kacke. Ich wollte nur weg von dem ganzen Mist. Und in Kransja Gora vor zwei Wochen hat’s dann endlich geklappt.

Da waren Sie als Dritter mal wieder am Podium. Wie hatten Sie davor den Kopf ausgemistet?

Der Druck war enorm. Es ging ja für mich um FIS-Punkte, Ranglisten und damit auch um Verträge mit Sponsoren. Wenn ich gewisse Platzierungen nicht erreiche, dann fallen auch die Verträge weg. Aber auf einmal dachte ich mir: Hey, denk dir nix. Versuch’ nicht, die Welt zu zerreißen, fahr’ einfach locker Ski. Hör’ auf dein Gefühl. Mach dir einfach nicht mehr so viele Gedanken. Und das war genau das richtige.

Kam diese Erkenntnis von ganz allein oder halfen Ihnen dabei etwa Ihre Eltern?

Von allein. Das Umfeld, die Familie, das alles ist wichtig. Aber reinschauen in meinen Kopf können die Eltern ja auch nicht. Ich glaube, ich hatte einfach zu viel gewollt. Ich habe mir enormen Druck gemacht, weil ich unbedingt mein erstes Weltcup-Rennen gewinnen wollte. Für mich musste es in diesem Winter klappen. Und das war der falsche Weg. Deswegen konnte es auch nichts werden.

Lag es aber auch an der Einstellung? Ihr Chef, Alpindirektor Wolfgang Maier, sprach einmal davon, dass Ihnen vielleicht manchmal die Ernsthaftigkeit fehlt, die Härte zu sich selbst.

Da kann ich dem Wolfi nicht zustimmen. Ich war brutal hart mit mir. So viel wie im letzten Jahr habe ich überhaupt noch nie trainiert. Deswegen hat es mich ja auch selbst so aufgeregt, weil ich körperlich in so einer so dermaßen Bombenverfassung war und dauernd rausgeflogen bin. Wahrscheinlich habe ich zu viel trainiert. Alles war Slalom, Slalom, Slalom. Ich hatte ja nur noch Slalomstangerl in der Birne. Ich denke, wenn ich lockerer rangehe, dann kommt der erste Sieg von ganz allein.

Viele Siege hat Maria Riesch gefeiert, darunter den bei der WM. Danach gab es in Garmisch einen großen Empfang, bei dem Sie auch dabei waren. Dabei wirkten Sie aber, als fühlten Sie sich fehl am Platz. Stimmte der Eindruck?

Absolut. Ich hatte auch lang überlegt, ob ich mir das wirklich antun und hingehen soll. Ich habe mich freilich wahnsinnig Freude für die Maria, aber beim Skifahren geht es halt doch nur um die Leistung von einem selbst. Und da war die Enttäuschung über meinen vierten Platz bei der WM noch einfach zu groß. Zu einer Siegesfeier zu gehen, wenn man nicht gewonnen hat, das wurmt. Vornedran beim Umzug ist die erste Kutsche mit der Maria, da sitzt der Vorstand vom Skiclub drin, der Bürgermeister und der Landrat – und du sitzt hinten in der zweiten Kutsche. Da bist natürlich angefressen. Es gibt schönere Situationen im Leben, viele Dinge, über die man sich mehr freut.

Auf was Freude Sie sich denn jetzt in der skifreien Pause?

Auf daheim. Auf meine Familie, die Freunde, dass ich die endlich wieder gescheit sehe. Aber ganz vorbei ist der Winter ja noch nicht. Ich fahre erst noch die Deutschen Meisterschaften, dann mache jetzt erst noch einen Skitest, erst danach fliege ich mit der Freundin in den Urlaub.

Wohin?

Eine Woche Fuerteventura. Der Klassiker. Und dann fliege ich am 20. April nach Alaska.

Oha.

Zum Heliskiing. Hab’ ich noch nie gemacht. Ein absoluter Kindheitstraum, jetzt geht der endlich in Erfüllung.

Sie fliegen da auch mit Ihrer Freundin hin?

Nein. Mit meinen Eltern. Mein Papa wird da ja 60, der wollte eben seinen Geburtstag da drüben feiern. Darum fliegt da die ganze Familie hin. Wieder daheim steht dann wieder Grundlagentraining an. Von mir aus könnte es eigentlich eh gleich weiter gehen. Ich bin so was von motiviert, das glauben Sie gar nicht. Denn jetzt kommen die zwei wichtigsten Jahre meiner Karriere.

Mit Olympia in Vancouver 2010 und im Jahr darauf mit der Heim-WM in Garmisch-Partenkirchen.

Die Einstellung wird in jedem Fall passen, das kann ich Ihnen schon jetzt versprechen. Ich werde alles geben, denn ich habe ein großes Ziel.

Nämlich?

Die erste Kutsche in Garmisch.

Interview: Florian Kinast

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