Neue Chance für Ringer, Rogge vor Blamage
106 Tage nach dem vorläufigen Aus durch das Internationale Olympische Komitee setzte die IOC-Exekutive die Traditionssportart wieder auf die Liste der neuen Events für 2020.
St. Petersburg - Vieles spricht dafür, dass das Ringen bei der 125. IOC-Session Anfang September in Buenos Aires zu den 27 feststehenden Sportarten für die beiden nächsten Spiele addiert wird.
Damit wäre beim Abschied von IOC-Chef Rogge die von ihm propagierte Programmreform gescheitert. Kommt es anders in Buenos Aires, wo am 7. September die Olympiastadt 2020 (Istanbul, Madrid oder Tokio) und drei Tage später ein Rogge-Nachfolger gewählt wird (neben Thomas Bach noch fünf Kandidaten), würde der weltweite Proteststurm der starken Ringer-Lobby wohl neue Höhen erreichen.
Dieser hatte sich entfacht, nachdem das IOC das Ringen im Februar nach einer umfassenden Studie nach 39 Kriterien aussortiert hatte. Rogge wollte eine alte Sportart durch eine neue ersetzen. Doch nun könnte höchstens noch Squash seine Olympia-Premiere feiern. Keine Chance auf den Platz bei Olympia 2020 haben seit Mittwoch Karate, Klettern, Wushu, Rollschuhsport und Wakeboarden.
Vieles spricht dafür, dass der weltweite Kampf der starken Ringer-Lobby Früchte trägt. „Das ist eine gute Mischung aus Mannschaftssport, Spielsport und Kampfsport“, meinte DOSB-Präsident Bach zum Votum. Der IOC-Vize ergänzte: „Ringen hat seine Reformen sowohl bei der sportlichen Regel als auch in der Führung des Weltverbandes überzeugend vorgestellt. Auch andere Sportarten haben gute und interessante Angebote gemacht, die gilt es weiterzuentwickeln.“ Fast euphorisch reagierte Manfred Werner, Präsident des Deutschen Ringer-Bundes (DRB): „Wir freuen uns, dass wir auf der Shortlist für Buenos Aires sind, bleiben vorsichtig optimistisch und weiter auf Reformkurs.“ Binnen drei Monaten erwachte die antike Sportart nach dem IOC-Votum aus dem Dornröschenschlaf, schickte ihren trägen Weltverbandspräsidenten Rafael Martinetti (Schweiz) in die Wüste. „Unter Martinetti hat offensichtlich jede Kommunikation und Zusammenarbeit mit dem IOC gefehlt“, sagt Manfred Werner.
Auf der Sondersitzung des Weltverbandes FILA am 18. Mai wurde Interims-Chef Nenad Lalovic zum Präsidenten gewählt. Der Serbe vergeudete keine Zeit, trat in regem Kontakt zu Rogge und wurde gemeinsam mit Werner auch beim potenziellen Rogge-Nachfolger Thomas Bach vorstellig. Die Wettkampfregeln wurden im Handstreich modernisiert. Künftig sollen die starken Männer ihr Muskelspiel im Scheinwerferlicht mit nacktem Oberkörper zu Musik demonstrieren. Eine Frau wird einen Vizepräsidenten-Posten erhalten, eine Athletenkomission soll entstehen.
Auf die Seite der Ringer schlugen sich angesichts des drohenden Olympia-Aus im Protest vereint sonst wenig befreundete Politiker wie Russlands Präsident Wladimir Putin, der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad oder der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Aus dem Kreis der deutschen Politiker machten sich Finanzminister Wolfgang Schäuble und Innenminister Hans-Peter Friedrich für die Ringer stark, und von der Sportprominenz Fußball-Idol Franz Beckenbauer. Allein im DRB wurden laut Werner 120.000 Unterschriften für den Olympia-Verbleib gesammelt.