Interview

Natalie Geisenberger im AZ-Interview: "Das schafft mein Mutterherz nicht"

Mama ist die Schnellste! Deutschlands Rodel-Queen Natalie Geisenberger ist nach ihrer Babypause zurück im Eiskanal. In der AZ spricht sie über den Spagat zwischen Leistungssport und Mutterrolle.
von  Krischan Kaufmann
Natalie Geisenberger kommt nach ihrer Babypause zurück und macht den Eiskanal unsicher. (Archivbild).
Natalie Geisenberger kommt nach ihrer Babypause zurück und macht den Eiskanal unsicher. (Archivbild). © Martin Schutt/ZB/dpa/Archivbild

AZ: Glückwunsch, Frau Geisenberger, zum gelungenen Comeback nach Ihrer Babypause. Waren Sie vom zweiten Platz beim Weltcup-Auftakt in Igls selbst ein wenig überrascht?
NATALIE GEISENBERGER: Nach den Lehrgängen zuvor und der Deutschen Meisterschaft (Platz 1, Anm. d. Red.) eigentlich nicht mehr. Es ist mein Anspruch, dass ich, wenn ich dabei bin, auch konkurrenzfähig bin und nicht zufrieden auf Platz 37 eintrudele. Das bin nicht ich!

Rodel-WM von Kanada an den Königssee verlegt

Die WM ist wegen der Pandemie von Whistler/Kanada an den Königssee verlegt worden, das dürfte Ihnen, da Sie Ihren Sohn ja mit zu den Rennen nehmen, zupasskommen?
Ja, denn logistisch und finanziell gesehen ist es für mich schon ein Unterschied, ob die WM von mir zu Hause in Miesbach 8.000 Kilometer weit weg ist - oder eben nur 130.

Wie ist Ihr Sport eigentlich auf Mütter eingestellt? Wurde am Königssee schon ein Wickelraum eingerichtet?
(lacht) Ne, den gibt's nicht. Aber ich handhabe das ja auch anders. Wenn ich beim Training oder bei Wettkämpfen an der Bahn bin, ist mein Sohn Leo ja nicht dabei, sondern im Hotel bei meinem Mann oder meinem Vater. An den Bahnen sind keine Zuschauer erlaubt - und da hat ein kleines Kind auch nichts verloren. Außerdem sind wir im Hotel gut aufgestellt, haben alles dabei. Das ist mir auch wichtig, zu wissen, dass ich den Kleinen guten Gewissens bei seinem Papa und Opa - manchmal ist auch meine Mutter dabei - lassen kann.

Geisenberger: "Ich kann mir nicht vorstellen, monatelang weg zu sein"

Eine Weltcup-Saison als gemeinsames Familienprojekt?
Das kann man so sagen. Unser Hund ist ja auch mit dabei. (lacht) Es war von Anfang an klar: Wenn ich das Abenteuer, als Mutter in den Leistungssport zurückzukehren, wage, dann nur, wenn ich den Kleinen mitnehmen kann. Ich kann mir nicht vorstellen, monatelang weg zu sein, ihn kurz an Weihnachten zu sehen und dann das nächste Mal wieder im März. Das schafft mein Mutterherz einfach nicht.

Hilft es, dass mit Dajana Eitberger heuer noch eine zweite Rodel-Mama im deutschen Team an den Start geht?
Ja. Unsere Situation ist zwar ein wenig unterschiedlich, ihr Sohn geht in die Kita und ist nicht bei den Rennen dabei. Aber grundsätzlich haben wir dieselben Themen. Früher haben wir uns darüber unterhalten, wo es welche Handtaschen im Sale gibt - jetzt geht's eher darum, wo es 25 Prozent auf Windeln gibt. (lacht)

Als Mutter keine Sonderrolle im Team

Durch ihre Mutterschaft haben Sie beide sicher eine Sonderrolle innerhalb des Teams?
Das glaube ich nicht. Es ist nicht so, dass sich die ganze Mannschaft auf uns einstellen muss. Wir machen normal unser Training, mussten uns wie alle anderen für die Weltcup-Mannschaft qualifizieren. Das Einzige, was sich neu ergeben hat, ist die gemeinsame Whatsapp-Gruppe "Mamis Special Training" mit unserem Trainer, weil wir aufgrund der Geburt noch einen bisschen anderen Trainingsaufbau haben.

Wie ist Ihr Umfeld mit Ihrem Entschluss, sich wieder auf den Schlitten zu schwingen, umgegangen?
Natürlich gab's ein paar negative Stimmen, nach dem Motto ‚Mutter und Leistungssport - das ist unmöglich'. Aber in meinem direkten Umfeld waren die Reaktionen durchweg positiv. Viele haben gesagt: ‚Krass, was du da vorhast, aber wenn's eine schafft, dann du.'

Rodel-Queen Geisenberger: Ich war schon immer eher vorsichtig

Gehen Sie als Mutter die Rennen vorsichtiger an?
Das war der einzige Punkt, über den ich mir im Vorfeld Gedanken gemacht habe. Ich war noch nie die, die vom Fahren her so draufgängerisch war, war schon immer eher vorsichtig. Aber das Thema mit der Angst und mit der Verantwortung - da habe ich mich schon gefragt: ‚Wie wird das werden?' Bei meinem ersten Start nach der Babypause saß ich auf dem Schlitten und dachte mir: ‚Will ich das noch?' Ich beschloss dann, dass ich diesen einen Lauf jetzt mal probiere und im Ziel sage ich ja oder nein. Als ich dann unten angekommen bin, habe ich mir gedacht: ‚Ja, das war jetzt doch wieder ganz cool.'

Es stand also auch ein Abbruch des Comebacks im Raum?
Definitiv. Ich habe auch immer gesagt, dass ich das nur mache, wenn der Kleine mitmacht. Wenn es Probleme mit dem Autofahren oder dem Reisen gegeben hätte, dann hätte ich es auf jeden Fall gelassen. Mein kleiner Sonnenschein und meine Familie sind für mich das Allerwichtigste.

Geisenberger wäre bei Olympia 2022 gerne dabei - auch ohne Medaille

Ihren männlichen Kollegen - zum Beispiel Felix Loch, der schon zwei Kinder hat - werden solche Fragen nicht gestellt. Ist Deutschland noch nicht soweit?
Ich weiß nicht, ob das mit Deutschland zusammenhängt. Vielleicht liegt das immer noch am klassischen Rollenbild, der Vater geht arbeiten und die Mutter passt aufs Kind auf. Wir haben das eben kombiniert. Bei uns macht der Vater seinen Job weiterhin, jetzt eben nur von unterwegs - und er genießt die Zeit mit seinem Sohn.

Welche sportlichen Ziele hat Mama Geisenberger noch?
Bei Olympia 2022 in Peking wäre ich gerne noch dabei. Aber ich nehme mir keine Platzierungen mehr vor. Mein Ziel ist, in der Saison gute Rennen zu fahren. Noch ein Weltcup-Sieg wäre auch schön, dann hätte ich nämlich die 50 voll. Aber der ganz große Druck ist weg. Ich habe bislang schon viel mehr erreicht, als ich mir je erträumt habe. Wenn ich aufgehört hätte, wäre ich auch megaglücklich mit meiner Karriere gewesen.

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