Nadal triumphiert in Melbourne

Der Weltranglisten-Erste Nadal ringt den Rivalen Federer in einem denkwürdigen Finale bei den Australian Open ieder. „Diese Burschen sind der reine Wahnsinn.“
von  Abendzeitung
Versöhnliche Umarmung nach der Siegerehrung: Rafael Nadal (l.) und Roger Federer.
Versöhnliche Umarmung nach der Siegerehrung: Rafael Nadal (l.) und Roger Federer. © Bongarts/Getty Images

MELBOURNE - Der Weltranglisten-Erste Nadal ringt den Rivalen Federer in einem denkwürdigen Finale bei den Australian Open ieder. „Diese Burschen sind der reine Wahnsinn.“

Um 1.14 Uhr am frühen Samstagmorgen hatte er das Halbfinaldrama gegen seinen Freund Fernando Verdasco beendet, nach dem längsten Match in der Geschichte der Australian Open, nach fünf Stunden und 14 Minuten. Um 0.14 Uhr in der Geisterstunde des Montags stand Rafael Nadal schon wieder als Spätunterhalter in der Rod-Laver-Arena, doch wer geglaubt hatte, dass ihm die endlose Strapaze zuvor die nötige Kraft und Ausdauer für den Titelcoup von Melbourne geraubt hätte, der sah sich beim unglaublichsten Kämpfer, den das Tennis je gekannt hat, schwerstens getäuscht.

Nadal stand vierzehn Minuten nach Mitternacht trotz aller Schmerzen nicht als malader Verlierer, sondern als triumphaler, unfassbarer Sieger am Netz: Er hatte gerade das größte Melbourne-Finale seit Jahrzehnten gewonnen, er hatte seinen einzig bedeutenden Herausforderer Roger Federer niedergerungen - und er hatte mit seinem 7:5, 3:6, 7:6, 3:6 und 6:2-Sieg auch die Frage beantwortet, wer im Hier und Jetzt die Nr. 1 im Männertennis ist. Er, Nadal – sonst keiner. „Es ist ein Augenblick, der für immer in meinem Herzen bleiben wird“, sagte der Mallorquiner, der von Ex-Champion Rod Laver geehrt wurde und mit seinen 22 Jahren bereits den sechsten Grand-Slam-Titel seiner Karriere einstrich.

Während sich in Australien kein anderes Bild bot als im Aschestaub von Roland Garros in Paris oder auf dem grünen Feld in Wimbledon, während also der unbezwingbare und fast unmenschlich erscheinende Rafael Nadal seinen Herrschaftsbereich auch auf Melbourne ausweitete, war zugleich der Schweizer Maestro Roger Federer schwer gescheitert: Beim Versuch, bei diesen Australian Open den Allzeitrekord von Pete Sampras mit 14 Grand-Slam-Titeln einzustellen. Aber noch mehr beim Versuch, seine schwarze Serie gegen Nadal zu durchbrechen.

Welch herber Knockout-Hieb Nadal gegen Federer mit diesem ganz speziellen Grand-Slam-Sieg gelungen war, bewies die Champions-Zeremonie, bei der die abgrundtiefe Enttäuschung des Schweizer in Abermillionen Wohnzimmer auf allen Kontinenten transportiert wurde - vor dem Mikrofon versagte Federer bei seiner Ansprache erst die Stimme, dann schüttelte ihn ein Weinkrampf durch. Auch der Trost von Tennislegende Laver konnte Federer nicht aufrichten, der im zweiten Versuch gerade so eben dem Sieger Nadal zu diesem „unglaublichen Sieg“ gratulieren konnte. „Du bist einer der größten Champions, die das Tennis hatte. Ich kann deine Bitterkeit nachempfinden", rief Nadal dem Unterlegenen zu. Aber der war so in seinem Frust gefangen, dass ihm auch beim gemeinsamen Posieren für die Fotografen nur die Tränen kamen.

Was sich auf dem harten Plexicushion-Boden der Laver-Arena abspielte, erinnerte wie auf dem grünen Feld von Wimbledon vor rund sieben Monaten an einen Schwergewichts-Boxkampf, in dem sich die beiden schillernden Stars durch alle Höhen und Tiefen fighteten, von Tiefschlägen erholten, grandiose Chancen ausließen, unvermutete Aufholjagden startete, wieder in Rückstand gerieten. Und doch niemals aufsteckten. „Ein derart physisches Spiel habe ich noch nie miterlebt“, sagte der Amerikaner Jim Courier, einst die Nr. 1, „diese Burschen sind der reinste Wahnsinn.“

Mal schien Federer der geschlagene Mann, mal Nadal. Aber gegen den Spanier ist Federer nie in einer Wohlfühlzone, sondern immer in einem Zustand der Unsicherheit. Das zeigte sich in jener spielentscheidenden Phase im dritten Satz, als der angeschlagene Nadal sechs Breakbälle gegen sich hatte. Aber Federer setzte nicht entschlossen nach, spielte ohne die erforderliche Aggressivität. Das brach ihm am Ende das Genick. „Den Sieg so zu verschenken, das ist das Bittere", sagte der Federer weinend: „Wenn man Tennis so liebt wie ich, ist man auch so am Boden zerstört wie ich jetzt."

Jörg Allmeroth

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