Nach Ottke-Kritik: AZ-Interview motivierte Felix Sturm
Stuttgart - An diesem denkwürdigen Abend konnte Felix Sturm gar nicht genug bekommen. Nachdem der 34 Jahre alte Mittelgewichtler im Eiltempo Boxgeschichte geschrieben hatte, knöpfte er sich genüsslich seine schärfsten Kritiker vor. "Es gibt in Deutschland ja viele Leute, die sich für Boxexperten halten und mich schon abgeschrieben haben. Die haben in die Zukunft geblickt und das Ende meiner Karriere prophezeit. Deshalb ist dieser Sieg für mich eine unheimliche Genugtuung", sagte der neue IBF-Champion, der soeben in sehr überzeugender Manier Darren Barker (England) demontiert und als erster Deutscher überhaupt zum vierten Mal einen Weltmeistertitel gewonnen hatte.
Gerade mal 5:09 Minuten benötigte Sturm, um seinem Kontrahenten eine Tracht Prügel zu verpassen, ihn zweimal auf die Bretter zu schicken und durch Technischen K.o. in der zweiten Runde zu entthronen. Für den ansonsten nicht gerade als harten Puncher bekannten Leverkusener genau die richtige Vorlage, um zum verbalen Rundumschlag auszuholen. "Es wurde viel Negatives geschrieben und gesagt. Aber ich habe in der Woche vor dem Kampf keine Zeitungen gelesen und nichts an mich herankommen lassen", sagte der kaum gezeichnete Sturm: "Und ich werde auch jetzt keine Zeitungen lesen, sondern die Zeit mit meiner Familie genießen."
Vor allem Sven Ottke (46), früherer Weltmeister im Supermittelgewicht, hatte den neuen Champion vor dessen Fight gegen Barker bereits abgeschrieben (Lesen Sie hier das AZ-Interview mit Sven Ottke). Sturm sei "nicht nur über den Berg, sondern schon wieder unten", stichelte Ottke im Gespräch mit der Abendzeitung. Und Sturms Kämpfe würden ihn sowieso nicht mehr berühren, "weil sein letzter guter Kampf schon sehr lange her ist".
Allerdings muss man diesem Stehaufmännchen Sturm trotz tatsächlich oft gezeigter Selbstüberschätzung zugutehalten, dass der Auftritt vor knapp 9000 Zuschauern in Stuttgart überzeugend und begeisternd war. So explosiv wie lange nicht mehr, so schlagstark wie vielleicht noch nie – endlich ließ der Wahl-Kölner seinen großen Worten die entsprechenden Taten folgen. "Er hat sich systematisch geändert", sagte Sturms Trainer Fritz Sdunek nach dem Kampf: "Wie er auf mich im Training eingeprügelt hat – da wusste ich, dass er das Ding mit einem Knock-out entscheiden wird."
Sturm scheint die verlorene Leidenschaft zu seinem Sport wieder entdeckt zu haben. Mit der Vergangenheit habe er abgeschlossen, betonte er, der Abend in der Schwabenmetropole solle der Startschuss für eine zweite Karriere sein. "Ich habe noch mit einigen Boxern ein paar Rechnungen offen", sagte Sturm, ohne ins Detail zu gehen: "Wir haben einige Optionen und werden schauen, was wir machen."
Der bereits vor Jahren angestrebte Wechsel in die höhere Gewichtsklasse wäre solch eine Möglichkeit, oder ein Vereinigungskampf gegen Klitschko-Schützling Gennadi Golowkin. Eher unwahrscheinlich ist nach jetzigem Stand ein Rückkampf gegen Barker in London, den sich der Brite für den Fall einer Niederlage vertraglich hatte zusichern lassen. Barker renkte sich englischen Medien zufolge beim Sturz auf den Ringboden die Hüfte aus und musste direkt nach Kampfende ins Krankenhaus gebracht werden. "Es ist eine alte Verletzung, die bei ihm aufgebrochen ist", sagte sein Promoter Eddie Hearn. Trainer Tony Sims fürchtete das Schlimmste: "Es ist ein Desaster. Ich glaube nicht, dass man ihn nochmal im Ring sehen wird."
Derweil widmete Sturm den Sieg von Stuttgart seiner Frau Jasmin. "Ohne sie und ohne meine Familie wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Und außerdem ist heute unser 7. Hochzeitstag", sagte Sturm am frühen Sonntagmorgen mit einem breiten Grinsen.
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