"Mutter Teresa als Vorbild"
Sie ist die unangefochtene Nummer 1 unter Münchens Sportlerinnen. Was sie so beliebt macht und wen sie selbst am meisten bewundert, erklärt Christine Theiss in diesem Interview.
AZ: Frau Theiss, nach Ihrem Weltrekord bei den Titelverteidigungen im Kickboxen haben Sie noch einen unerreichbaren Rekord aufgestellt: Die AZ-Leser wählten Sie zum fünften Mal in Serie zu „Münchens Sportlerin des Jahres“.
CHRISTINE THEISS: Das macht mich unglaublich stolz. Die Auszeichnung wird nie zur Routine. Sie bedeutet mir sehr viel, weil sie eben direkt von den Menschen kommt. Verraten Sie uns doch mal schnell das Geheimnis Ihrer Popularität. Ich denke, die Menschen wissen, dass ich das, was ich sage, auch meine. Ich mache diesen Sport nicht hauptsächlich, um Geld zu verdienen, sondern weil er ein Teil meines Lebens, weil er Ausdruck meines Charakters ist. Ich trage diesen Sport im Herzen.
Sie werden demnächst 30. Wie lange können und wollen Sie noch die Kickbox-Queen geben? Gibt es schon Rücktrittsgedanken?
Ja, aber die sind eher theoretischer Natur. Ich will nicht eines Tages aufhören und dann nicht wissen, was ich mit mir anfangen soll. Daher beschäftige ich mich gedanklich schon etwas mit dem Karriereende. Ich plane die Karriere nach der Karriere. Ich habe bei Kollegen gesehen, dass es mit Mitte 30 schwerer wird, sein Niveau zu halten, seine Leistung zu bringen. Ich will abtreten, bevor ich das spüre. Aber da sollten mir schon noch ein paar Jahre bleiben.
Wie bewusst sind Sie sich denn Ihrer Vorbildrolle? Gerade junge Mädchen schauen zu Ihnen auf.
Ich merke das an den Zuschriften. Am Anfang bekam ich fast ausschließlich von Männern Post, jetzt ist es etwa 50:50. Viele Mädchen schreiben mir, dass sie meinetwegen mit dem Sport angefangen haben, aber manche suchen auch Rat in schwierigen Lebenssituationen. Ich beantworte all diese Anfragen, bin für die Fans da.
Warum straucheln so viele Vorbilder im Sport? Sei es Tiger Woods oder zuvor Boris Becker und Oliver Kahn?
Ich will über die alle nicht richten, aber sie hatten wohl alle das gleiche Problem. Da kann man jetzt lange über den Unterschied zwischen Männlein und Weiblein philosophieren. Man darf es wohl so sagen: Männer, die Sammler und Jäger mit ihrem Trophäenschrank, sind für gewisse Reize einfach anfälliger. Das liegt wohl in ihrer Natur, das kann aber für mich letztlich keine Entschuldigung für dieses Verhalten sein. Sagen wir mal so: Ich habe nicht vor, in deren Fußstapfen zu treten. Ich habe den Richtigen gefunden, warum soll ich dann Schlechteres für den angeblich schnellen Kick suchen?
Was heißt es für Sie, ein Vorbild zu sein?
Das beginnt im Kleinen. Jeder, der seine Freizeit einem Ehrenamt opfert, um anderen zu helfen, etwa im Sportverein, ist für mich ein Vorbild. Menschen, die Zivilcourage zeigen. Wie etwa Dominik Brunner, den ich ja persönlich kannte, der sich schützend in der S-Bahn vor Kinder stellt und dafür erschütternderweise mit seinem Leben bezahlt: Das ist für mich ein Vorbild, ein Held des Alltags.
Wer sind Ihre persönlichen Vorbilder, welche historische Personen bewundern Sie?
In der jüngeren Geschichte sind das für mich Helmut Kohl und Michail Gorbatschow, die in einer historisch einmaligen Situation die politische Weitsicht besaßen, im richtigen Moment zu agieren und so den Fall der Mauer herbeiführten. Das hat für mich mit meiner persönlichen Familiengeschichte – wir wurden ja von Franz Josef Strauß aus der DDR freigekauft – besondere Bedeutung. Ansonsten bewundere ich die Geschwister Scholl, die den Mut, die Zivilcourage hatten, einem Unrechtsregime die Stirn zu bieten. Dies im vollen Wissen um die Konsequenzen: den Tod. Ein weiteres Vorbild ist für mich Mutter Teresa, die ein ganz anderes Leben hätte führen können, aber sich entschieden hatte, den Ärmsten der Armen zu helfen. Sie hat denen, die keine Stimme, keine Lobby und leider oft keine Rechte hatten, ein Gesicht, eine Stimme gegeben. Sie hat die Nächstenliebe gelebt.
Wie vereinbaren Sie Ihren christlichen Glauben, der ja Nächstenliebe predigt, mit Ihrem Beruf als Kickboxerin? Boxer George Foreman, der nach einer Gotteserfahrung Prediger wurde, erklärte mal, das wäre unvereinbar.
Und dann kehrte er später wieder in den Ring zurück, um Geld zu verdienen! Ich betreibe einen Sport, der klare Regeln hat, ich will meinen Gegnern nicht den Kopf abreißen, nicht verletzen, sondern in einem fairen Wettkampf besiegen. Nur weil es ein harter Sport ist, hebelt das nicht die Gebote der Fairness und des Anstands aus. In meinem letzten Kampf hat etwa meine Gegnerin ihre Kontaktlinse verloren. Es war für mich selbstverständlich, dass ich das nicht ausnütze, sondern dass ich zum Ringrichter hingehe und ihm das mitteile, damit sie die wieder einsetzen kann. Klar lebe ich im Ring nicht nach dem Gebot, die andere Wange hinzuhalten. Da ist es eher alttestamentarisch „Auge um Auge“, ber ich sehe darin keinen Widerspruch zu Fairness und Anstand.
Interview: Matthias Kerber