Münchens junge Helden

Rotzfrech aber mutig blamieren die Löwen-Amateure den FC Bayern — und lassen sich nach dem 1:1 im Derby schüchtern feiern
MÜNCHEN Nach dem Schlusspfiff zeigten sie plötzlich wieder ganz viel Respekt. Schüchtern, scheu, fast schon ängstlich gingen sie zu den weiß-rot gekleideten Stars, fragten nach deren Trikots und trotteten mit ihren Trophäen zufrieden zur Mittellinie, wo sich die anderen Löwen schon zum Kreis formiert hatten.
In den Minuten zuvor war von diesem Respekt, den die jungen Löwen den Bayern-Stars nun erbrachten, nichts zu sehen gewesen. Im Gegenteil: Rotzfrech und mutig hatten sie da aufgespielt und den Bayern ein 1:1 abgetrotzt. Spieler, von denen die meisten der 66000 Zuschauer in der Arena davor wohl noch nie etwas gehört hatten. Spieler, die normalerweise in der Regionalliga auf Punktejagd gehen und die am Samstag beim 203. Stadtderby, bei diesem zumindest gefühlten Sieg der Löwen, zumindest für einen Tag zu Münchens jungen Helden mutierten. Die blaue Kurve feierte sie – während die blamierten Roten auf halbem Wege zu ihren Fans lieber kehrt machten.
Löwen-Trainer Marco Kurz hatte seine Ankündigung wahr gemacht und viel rotiert. Elf Spieler wechselte er ein, ab der 77. Minute standen sich auf dem Rasen zehn Sechzger, die letztes Jahr noch alle gemeinsam in der Regionalliga kickten – keiner älter als 23– und acht Nationalspieler des FC Bayern gegenüber. Insgesamt setzte Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld während des Derbys 15 aktuelle oder ehemalige Nationalspieler ein, darunter in Luca Toni einen aktuellen, in Lucio einen ehemaligen Weltmeister und in Oliver Kahn und Willy Sagnol zwei Vize-Weltmeister.
Und die Löwen?
Die hatten immerhin den Kapitän der österreichischen U 19, Julian Baumgartlinger, auf dem Platz. Und Alexander Eberlein (20), der im Herbst bei der Militär-WM in Indien gespielt hat. Oder Björn Ziegenbein (21), ein Mittelfeldspieler mit dem Hang zu, nun ja, Extrem-Igel-Frisuren. Und sein Gefährt wird bei 1860 als Sekretärinnen-Porsche verspottet: Ziegenbein steuert einen älteren Ford Puma.
Diese Löwen-Bubis schafften es, die fast schon wütenden Angriffsversuche der Bayern zu zerstören. Bezeichnend, dass auch der Torschütze zum 1:1-Endstand mit Manuel Duhnke der Kapitän des Regionalliga-Teams gewesen war (siehe Artikel unten).
1860 hat in der Arena noch kein Derby gegen die Bayern verloren – dank einiger Spieler, die in der Regionalliga derzeit mit 28 Punkten 14. sind. „Eigentlich hätten wir auch U23-Trainer Uwe Wolf auf die Bank einladen können“, so Manager Stefan Reuter schmunzelnd, „aber die Bank war leider schon voll.“ Irgendwo mussten ja auch die jungen Derbyhelden Platz finden.
Benjamin Schwarz (21) etwa, ein Linksverteidiger, der seine Karriere mal in Haching begann, oder José Holebas (23), der Stürmer mit den Zöpfchen, der jeden Tag mindestens eine Stunde mit seiner Tochter Tanisha telefoniert und den die Sechzger vor zwei Jahren in der Landesliga entdeckten. Oder Manuel Duhnke, der Torschütze, der drei Jahre zusammen mit Baumgartlinger und Eberlein im Löwen-Internat wohnte. Dort also, wo Björn Ziegenbein vor zwei Jahren auch seinen Zivildienst ableistete.
Sie alle blamierten die Bayern, die anschließend einzeln, mit gesenkten Köpfen und kommentarlos durch die Mixed-Zone schlichen, bevor sie sich in ihre Audi Q 7 oder S 8 setzten und heim brausten. Die Löwen-Bubis dagegen verließen die Kabine zusammen, in den Taschen ihre Trophäen, und fuhren gemeinsam mit dem Mannschaftsbus in die Grünwalder Straße.
Dort, wo die meisten von ihnen beim Test gegen den Bayernligisten 1. FC Bad Kötzting gestern wieder für die U23 ran mussten – und 4:1 gewannen. Am Mittwoch fliegen die Amateure zum Trainingslager in Südafrika. Als Vorhut für die WM 2010? Filippo Cataldo