München hat Bronze
PEKING - Munkhbayar Dorjsuren holt Bronze mit der Luftpistole. In der Mongolei aufgewachsen, lebt sie nun in Moosach und gehört zur Sportfördergruppe Neubiberg.
Ihr Gesicht glich einer Maske, die jedem Stoiker zur Ehre gereicht hätte. So schaute sich Munkhbayar Dorjsuren um. Nur ihre Kiefer, die verrieten ihre Anspannung, die mahlten im Stakkato-Takt. Dann hob Bundestrainer Peter Kraneis drei Finger empor.
Das Gesicht der 39-Jährigen erstrahlte endlich. Bronze! Die gebürtige Mongolin hatte als Dritte die erste deutsche Schützen-Medaille im Kleinkaliber gewonnen, die erste Olympische Medaille dieser Spiele für München. Dorjsuren wohnt in Moosach. Und kaum hatte sie, die bereits vor 16 Jahren bei den Spielen in Barcelona Bronze gewonnen hatte, damals noch für die Mongolei, ihren Erfolg realisiert, ließ sie ihren Emotionen freien Lauf. Sie schaute sich um, suchte ihre Tochter. Die 14-jährige Ujin. Es war die vielleicht herzhafteste Umarmung dieser Spiele. Mama Munk, wie sie von allen Freunden nur genannt wird, und Tochter Ujin. Die hatte eine kleine schwarz-rot-goldene Fahne in der Hand und wischte sich damit immer wieder die Tränen aus den Augen. Freudentränen. „Ich bin so stolz auf meine Mama“, sagte Ujin und wollte die Bronze-Mama gar nicht mehr loslassen. Da war die Erfolgsschützin nur noch Mutter, sie streichelte Ujin übers Gesicht. „Ich bin so froh, dass sie bei Olympia zwei Wochen dabei sein kann und das hier erleben konnte“, sagte Dorjsuren später, „sie hat ja auch schon vieles erlebt.“
Etwa den Umzug nach Finnland. Vor etwa einem Jahr war Dorjsuren ihrem Lebensgefährten Matthias Hain gefolgt. Der ist dort Trainer der Schützen-Nationalmannschaft. Deswegen hat die gebürtige Mongolin mit dem deutschen Pass (seit 2002) gleich zwei Wohnsitze. Eben Moosach und Finnland. „Ich habe mich schon gefragt, ob das für die Kleine nicht ein bisschen viel ist. Aber alle beide sind sehr sprachbegabt und sie scheinen sich dort sehr wohl zu fühlen“, sagt Inge Wolinski, die Ehefrau von Klaus Wolinski, dem Schützenmeister von Dorjsurens Heimatverein SG Grafing, der AZ. Das Ehepaar hat sich „Munk“ stets angenommen. „Aber sie ist sehr selbstständig. Zum Glück nimmt sie auch mal einen fraulichen Rat an, das schadet ja nie. Am Anfang hat sie mich manchmal gebeten, über einen Brief drüber zu lesen. Aber bald brauchte sie das nicht mehr. Sie redet auch immer noch richtig bairisch. Da hört man schon ein Pfiat di, wenn sie am Telefon auflegt“, sagt Inge Wolinski. Und Ehemann Klaus sagt: „Munk ist gerade mental sehr stabil. Für sie gibt es eigentlich nur unseren Sport. Sie lebt für die Waffe.“ Dabei wollte sie als Kind viel lieber Volleyballspielen. Oder Basketball. Doch das gab es in der 3-Millionen-Republik nicht. Kein Wunder, die Besiedlungsdichte der Mongolei beträgt 1,9 Einwohner pro Quadratkilometer. Als sie 16 war musste sie mit der Schule in Ulan Bator zum halbmilitärischen Schießunterricht. Den Schützenklub hatte die DDR in den achtziger Jahren der mongolischen Hauptstadt geschenkt. Dorjsuren traf so gut, dass sie zur Landesmeisterschaft geschickt wurde.
Und sie traf und traf und traf. Bei Olympia 1992, wo sie durch den Erfolg zur Nationalheldin wurde („Ich bin in der Mongolei so bekannt wie Lothar Matthäus hier“). Und eben jetzt. Für Deutschland, für München. „Es ist toll, für meine beiden Heimatländer Medaillen gewonnen zu haben“, sagte sie.
1995 war sie zum Sportstudium nach Leipzig gewechselt. Sie, die Sportlerin des Jahres in der Mongolei. Doch in Leipzig war nicht alles Bronze, was glänzte. Sie arbeitete als Putzfrau und als Zimmermädchen. „Ich brauchte das Geld, ich hatte ein Kind zu versorgen“, erinnert sich Dorjsuren, die als Konzentrationswunder gilt. „Mein Trainer sagt, ich würde dastehen wie ein Schraubstock. Die Handruhe wäre bombenfest“, sagt sie, die pro Jahr etwa 20 000 Schüsse abgibt. Diese Ruhe, die fand sie im Buddhismus, mit dem sie aufwuchs. Gerne redet sie davon, dass man seine „eigene Mitte finden“ muss. Seine eigene Mitte, um die Mitte des Ziels zu treffen. Im Oktober 2005, da wurde sie in die Sportfördergruppe Neubiberg der Bundeswehr aufgenommen. Bis zur Hauptgefreiten hat sie es gebracht. „Wir waren uns sicher, dass sie ihren 24. Platz in der Luftpistole locker wegsteckt. Die belastet das nicht. Für sie ist gestern eben gestern und heute eben heute“, sagt Stabsfeldwebel Roland Teichmann, Stellvertreter des Leiters der Fördergruppe Neubiberg. „Dorsjuren ist ein Aushängeschild für die Bundeswehr.“
Das kürzlich von Bundespräsident Horst Köhler mit dem „silbernen Loorbeerblatt“, der höchsten deutschen Auszeichnung für sportliche Leistungen, ausgezeichnet wurde. „Eine große Ehre“, sagt Dorsjuren. Ihr Erfolgsrezept beschreibt sie so: „Ich muss mich in eine Art Trance versetzen. Der hält aber nur etwa 20, 30 Minuten. Schießen ist ein bisschen wie ein Haus zu bauen. Es gibt ganz viele Steine, die man richtig aufeinander stellen muss. Nur dann geht alles gut“, sagt die münchnerisch-mongolische Häuslebauerin. „Ja, diese Trance, das kann sie,“ sagt Schützenmeister Wolinski von der SG Grafing. „Aber sie braucht auch jemanden, der sie da ein bisschen hinführt. Das ist sicher ihr Freund, der Matthias.“
Der arbeitete früher als Trainer in Garching-Hochbrück, ehe er den Job in Finnland annahm, wohin ihm Dorjsuren folgte. Doch Munks Heimat ist weiter München. Deswegen bereitet man sich bei der Sportfördergruppe schon auf die Heimkehr der Bronze-Schützin vor. „Da lassen wir uns was einfallen“, verspricht Teichmann. Für Munk, für Münchens erste Medaillengewinnerin.
Matthias Kerber