Motorrad-Star Stefan Bradl: "Wir sind schon ziemlich harte Hunde"

Der 30-jährige Stefan Bradl war 2011 Moto2-Weltmeister, heuer fährt er als einziger Deutscher in der MotoGP, die am Wochenende das Finale in Portugal bestreitet (ServusTV überträgt live). Er ist auch Experte bei ServusTV.

AZ: Herr Bradl, mit Joan Mir hat die MotoGP-Klasse, bei der Sie als einziger Deutscher mit am Start sind, seit dem vergangenen Wochenende einen neuen Weltmeister. Ihre Einschätzung des erst 23-jährigen Champions?
STEFAN BRADL: Er ist ein absolut verdienter und würdiger Weltmeister. Er hat gleich seinen ersten Matchball genutzt und das in wirklich souveräner Art. In seinem Alter einen so ruhigen Kopf zu behalten, sich nicht von der Nervosität erfassen zu lassen, war beeindruckend. Er ist eine sehr starke, konstante Saison gefahren, hat viele Punkte gesammelt und auch im richtigen Moment die Rennen und die Punkte verwaltet. Er ist kein typischer spanischer Hitzkopf, der immer auf Biegen und Brechen gewinnen will, sondern einer, der auch weiß, dass es besser ist, mal zurückzustecken, wenn es nicht geht. Zudem ist er ein sehr netter, wohlerzogener Kerl. Alle gönnen ihm den Erfolg.
Stefan Bradl: "Es war eine verrückte Saison, nicht nur wegen Corona"
Trotzdem ist es erstaunlich, dass man mit nur einem einzigen gewonnenen Rennen Weltmeister werden kann. . .
Ich bin sehr froh für ihn, dass er vor zwei Wochen in Valencia seinen ersten Saisonsieg eingefahren hat. Denn wäre er Weltmeister ohne einen einzigen Saisonerfolg geworden, hätte es schon irgendwo einen faden Beigeschmack gehabt. Es war insgesamt eine verrückte Saison, nicht nur wegen Corona.
Die neuen Reifenmischungen, die Tatsache, dass egal, welches Motoren-Konzept verfolgt, auf welches Chassis gesetzt wurde, alle Hersteller fast ähnliche Geschwindigkeit hatten, konnte keiner erwarten. Keiner hätte vor der Saison geglaubt, dass Suzuki den Titel holen kann, dass Mir Weltmeister wird. So ist es jetzt eine doppelte Cinderella-Geschichte. Alle hatten die Chance, sich nach dem frühen verletzungsbedingten Saison-Aus von Marc Márquez ins Rampenlicht zu fahren, Mir hat es gemacht. Es gewinnt nicht immer der Schnellste, sondern der Konstanteste. Das war bei meinem WM-Titel in der Moto2-Klasse 2011 nicht anders. Ich habe drei Rennen gewonnen, Márquez sieben, aber ich habe mehr Punkte gesammelt. Vielleicht war er auch damals der Schnellere, aber Geschwindigkeit allein entscheidet eben nicht immer über Titel.
Sie sprachen Superstar Márquez an, was zeichnet ihn aus?
Das Gesamtpaket. Er ist körperlich top, mental top. Sein Siegeswille, sein technisches Verständnis, seine Risikobereitschaft, sein Fahrgefühl: Das ist alles auf Höchstniveau. Dazu hat er ein unglaubliches Talent. Diese Kombination macht ihn zu einem der besten Fahrer, die es in langer Zeit gegeben hat. In dieser Saison hat er vielleicht ein bisschen zu viel riskiert und dafür einen sehr hohen Preis bezahlt, denn ich bin mir sicher, dass er wieder um den Titel gekämpft hatte. Marc wäre wahrscheinlich nicht ganz so überlegen gewesen wie zuletzt, aber der Titelgewinn wäre sicher nur über ihn gegangen.
"Wir Motorradrennfahrer sind grundsätzlich ziemlich harte Hunde"
Wie schwer war es für Sie, der eigentlich als Testfahrer unter Vertrag steht, den Platz von Márquez beim Honda-Team einzunehmen?
Gerade am Anfang war es sehr, sehr schwer. So einen Mann kann man einfach nicht ersetzen. Allen war klar, dass der Titel futsch ist. Was soll man jetzt machen? Soll ich mich aufs Testen für die kommende Saison konzentrieren? Soll ich Rennen fahren? Soll ich beides machen? Ich war auch am Anfang körperlich und mental noch nicht in der besten Verfassung. Es wurde dann aber immer besser. und ich habe mich am Ende ganz achtbar geschlagen. Klar will man immer mehr erreichen, aber ich habe doch gezeigt, dass bei mir selber auch noch ein bisschen Benzin im Tank ist (lacht).
Márquez hat sich bei seinem Sturz einen Oberarmbruch zugezogen. Wie lange ist denn Ihre eigene Krankenakte?
Da kommt einiges zusammen, aber das gehört zu der Sportart irgendwo dazu. Da spricht man auch nicht groß drüber. Wir Motorradrennfahrer sind grundsätzlich ziemlich harte Hunde. Anders geht es in diesem Sport auch nicht, da sind wir schon anders als andere Sportarten, die ich jetzt nicht benenne, wo es schon ziemlich verweichlicht zugeht. Aber das ist auch nicht immer gut, wenn etwa der Márquez eine Woche nachdem er sich den Oberarm gebrochen hat, wieder aufs Bike steigt und fahren soll, dann macht das keinen Sinn - und ist weder für den Sport noch den Sportler gut.
Sie tragen einen berühmten Namen, Ihr Vater Helmut war einer der besten Fahrer seiner Zeit. War das für Sie Bürde oder hilfreich?
Es hat schon geholfen, weil der Papa vieles schon gewusst oder gekannt hat. Aber natürlich ist es auch nicht so, dass man in dem Alter immer auf das hören will, was einem der Vater sagt. Gerade im Rückblick kann ich sagen, dass er das sehr gut gemacht hat - mit viel Einfühlungsvermögen. Er hat mich unterstützt, und als ich dann so mit 21 selber das Zepter in die Hand genommen habe, hat er sich auch nicht eingemischt.
Stefan Bradl wurde mit 13 Jahren entdeckt
Der Papa hat gesagt, dass Sie das bessere Fahrgefühl haben.
Kann sein, dass er das gesagt hat, ich weiß es gar nicht. Was er sicher gesagt hat, ist, dass er mehr hätte erreichen können, wenn er nicht so stur gewesen wäre. Denn er war zu seiner Zeit schon ein brutaler Sturschädel, der immer mit dem Kopf durch die Wand wollte. Vielleicht hätte er noch mehr erreicht, wenn er nicht ganz so ein Dickkopf gewesen wäre. Aber vielleicht ist er auch nur so weit gekommen, weil er dieser Sturschädel war. Ich war da immer ein bisschen anders. In mir steckt eben auch viel von der Mama. Ich kann mich auch mal in einem Moment zurückhalten, um dann auf lange Sicht zu profitieren. Das war immer mein Weg, denn so bin ich einfach, und mit diesem Weg bin ich für mich selber sehr gut gefahren.
Wie ging es bei Ihnen mit der Motorrad-Karriere los?
Der Papa hatte aus Japan mal ein Mini-Bike mitgebracht, das wollte ich unbedingt fahren. Als ich vier war, hat er mich drauf gelassen. Damit war die Karriere eigentlich gleich wieder beendet. Ich wollte Fußball spielen, einen Mannschaftssport betreiben. Irgendwann habe ich gemerkt, dass Teamsport keineswegs immer toll ist, und mit zwölf Jahren bin ich wieder aufs Motorrad - und mit 13 wurde ich dann entdeckt. Der Rest ist Geschichte.
Eine Geschichte, die viele Höhen hat, aber auch Tiefen. Der Tod Ihres Teamkollegen Nicky Hayden im Jahre 2017 war sicher ein extremer Tiefschlag.
Das war einfach nur Scheiße, anders kann man es nicht sagen. Und dann verunglückt Nicky auch ausgerechnet noch bei einer Alltagstätigkeit: beim Radfahren. Beim Motorradfahren wissen wir alle, dass wir uns einem gewissen Risiko aussetzen, dass die Gefahr, einen schweren, sogar tödlichen Unfall zu haben, irgendwo allgegenwärtig ist. Der Tod fährt immer mit, aber beim Radfahren erwartest du es nicht. Es war ein tiefer Schock. Für mich, das Team, für alle. Das ist nichts, was dich gleich wieder loslässt. Überhaupt war 2017 ein Jahr, das ich so nicht wieder erleben möchte.
Es war das Jahr, in dem nicht nur Hayden verunglückte, sondern auch Ihr alter Teamchef Stefan Kiefer, für den Sie von 2008 bis 2011 fuhren, mit nur 51 Jahren vor dem Rennen in Malaysia an einem Herzinfarkt verstarb.
Die Kiefer-Brüder waren wie Familie für mich. In der Zeit dort bin ich vom bayerischen Buam zum Mann gereift, bin erwachsen geworden. Stefan war ein Teil dieser Entwicklung. Ich erinnere mich immer sehr gerne an die gemeinsame Zeit. Und ich betrachte die Zeit beim Kiefer-Team auch als die schönste meiner Karriere.
"Ich glaube, dass es etwas Höheres gibt"
Wie sehr setzt man sich als Rennfahrer mit Tod und Sterben auseinander? Oder muss man das ausblenden?
Man darf sicher nicht dauernd daran denken. Auch wenn unser Beruf gefährlich ist, es wird sehr viel für die Sicherheit getan. Die Fahrer gehen auch viel fairer als früher miteinander um. Wir haben zum Beispiel in der MotoGP immer freitags vor den Rennen ein Sicherheitsmeeting. Klar prägen einen solche Todesfälle. Man kann sich nicht aussuchen, wann und wie einem das Leben diese Prüfungen auferlegt, aber sie gehören zum Leben dazu.
Sind Sie gläubig?
Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, dass es etwas Höheres gibt. Man merkt, wenn man ein paar Lebensjahre auf dem Buckel hat, immer wieder, dass es Ereignisse gibt, die oft erst viel später im Rückblick einen Sinn ergeben, den man in dem Moment nicht erkannt hat. Aber ich bin nicht sehr gläubig. Man sucht immer wieder Antworten, aber ich habe sie für mich nicht wirklich gefunden.