„Moralisch verrottet“

Wie Korruption und Showbiz den Sport aushöhlen: Philosoph Gunter Gebauer über irreale Bühnenpuppen und die Perversion des Systems Radsport.
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"Er übernimmt die Überzeugung seiner Frau Victoria": David Beckham.
AP "Er übernimmt die Überzeugung seiner Frau Victoria": David Beckham.

Wie Korruption und Showbiz den Sport aushöhlen: Philosoph Gunter Gebauer über irreale Bühnenpuppen und die Perversion des Systems Radsport.

AZ: Herr Gebauer, Doping im Radsport, Bestechungsvorwürfe im Handball und Korruptionsverdacht bei Spielertransfers im Fußball – zeigt der Sport gerade sein hässliches oder doch sein wahres Gesicht?

GUNTER GEBAUER: Ich war nie so naiv zu glauben, der Sport sei eine heile Welt. Was wir momentan erleben, hat sich alles vorbereitet. Man hat das Gefühl, dass sich diese Probleme eher verdichten.

Muss der Sportfan also die jüngsten Skandale als Teil des Geschäfts akzeptieren?

Womöglich ja. Wie kaputt die Sportindustrie tatsächlich ist, wissen wir zwar nicht. Fest steht, dass Bestechung und Schmiergelder nicht neu sind. Große und kleine Gemeinheiten gab es schon immer. Doch das Intrigieren, das Zuschieben von Posten unter den Sportfunktionären, das hat mittlerweile schon eine ganz neue Qualität erreicht. Und maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hat die Verschiebung des Sports ins Showbusiness.

Sie meinen, der Sport versinkt im Sumpf, weil er mit der falschen Welt des Showbiz angebandelt hat?

Der Sport verrottet moralisch – auch weil sich alte Prinzipien des Sports verändert haben. Wenn das Prinzip Show, das Prinzip Sport ersetzt, wird der Sport von Innen zerfressen. Um das „Sich-Messen im Wettkampf“ geht es dabei schon lange nicht mehr. Sport als Showbiz soll heute vor allem schöne Bilder liefern. Egal, wie sie zustande kommen.

Welches Bild fällt Ihnen ein?

Da wäre Usain Bolts Weltrekord über 100 Meter bei Olympia in Peking. Was wir dort gesehen haben, war doch keine Realität. Das war wie inszeniert, geradezu ein Trickfilm, wie im Kino. Dass dabei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist, ist doch offensichtlich. Aber was bleibt, war eben das Bild vom Sieger Bolt und sein Triumph. Und die Inszenierung von perfekter Körperlichkeit und deren Idealisierung.

Verkörpert auch Glamour-Fußballer David Beckham dieses falsche Showbiz? Bayern-Manager Uli Hoeneß geißelt die Aufregung um die Beckhams ja gerne als „Affentheater“.

Der Uli Hoeneß hat als klassicher Fußballer der alten Schule noch immer das Bild des Sportlers als rackernder Kämpfer vor Augen. Beckham verkörpert dagegen etwas ganz anderes. Er übernimmt die Überzeugungen seiner Frau Victoria, die ja ganz klassisches Showbusiness verkörpert. Beckham hat sich somit tatsächlich und metaphorisch mit dem Showbiz vermählt. Beckham ist eine Bühnenpuppe...

...die aber trotzdem vielen als Vorbild dient.

Da in anderen gesellschaftlichen Bereichen die Vorbilder wegfallen – denken wir nur an Wirtschaft oder Politik – muss umso mehr der Sport die Vorbilder, die Helden und die Lichtgestalten liefern.

Gleichzeitig versagt der Sport dabei aber auch kolossal. Man denke an die tränenreichen Dopinggeständnisse einiger Radsportler.

Gerade der Radsport findet sich in einer perversen Situation wider. Bis in die 80er Jahre war es eine akzeptierte Praxis, Medikamente und verbotene Mittel einzunehmen. Und plötzlich kehrt sich das System um, und Fahrer werden dafür an den Pranger gestellt. Dabei wusste jeder, dass etwas nicht stimmte. Viele Leute, gerade auch Journalisten, haben die Augen verschlossen. Man kann ihnen keinen Vorwurf machen. Wer sich als Moralist hinstellte, wurde nicht ernst genommen, von den Kollegen verlacht und als Spaßverderber diffamiert. Schließlich muss die Show um fast jeden Preis weitergehen.

Schauen Sie überhaupt noch Sport?

Ich werde indifferenter gegenüber einigen Sportarten. Ich will keine Tour de France mehr sehen. Ich stehe auch der kommenden Leichtathletik-WM in Berlin kühl gegenüber – obwohl ich einmal ein glühender Fan war.

Können die jüngsten Skandale auch ein reinigendes Gewitter sein?

Den Radsport und die Leichtathletik gebe ich fast verloren.

Problematisch sind vor allem jene Sportarten, die mit dem Fernsehen groß geworden sind, wie zum Beispiel Biathlon. Auch jene Disziplinen aus dem Halb-Amateur-Bereich und Halbprofessionellen sind hochgradig korrupt – denken wir nur an Handball. Überall, wo viel privates Geld fließt, wird es gefährlich. Denn dann können Leute viel Geld verlieren. Dadurch machen sie sich korrumpierbar - kippen ins Unmoralische weg. Andere Sportarten sind da resistenter.

An welche denken Sie?

Ich denke, Fußball gehört dazu. Trotz der enormen Kommerzialisierung wird Fußball ein moralisch erträgliches Spektakel bieten. Genauso wie das große Geld zur Gefahr wird, kann es zumindest beim Fußball Betrug eindämmen. Man kennt das von den USA. Dort sind Sportarten wie Basketball relativ sauber, denn es steht viel auf dem Spiel. Der ökonomische Druck ist hoch. Dadurch ist es gelungen, Sportarten zu gut organisierten und funktionierenden Disziplinen zu machen. Aber auch hier gilt: Sie werden nie wirklich sauber sein.

Interview: Reinhard Keck

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