Mischa Zverev: "Sascha weiß, dass Papa und ich immer da sind"
Mischa Zverev, der große Bruder (33) der deutschen Nummer eins, ist nach wie vor auf der ATP-Tour aktiv, arbeitet seit diesem Jahr aber auch als TV-Experte bei Eurosport.
AZ: Herr Zverev, bei den Australian Open waren Sie in zivil Teil des Eurosport-Teams - jetzt stehen Sie mit bald 34 als Nummer 278 der Welt wieder in kurzen Hosen auf dem Platz, Karriereende verschoben?
MISCHA ZVEREV: Ich steh' permanent auf dem Platz! Trainiere, spiele mit, halte mich fit, versuche gesund zu bleiben - und irgendwann versuche ich auch Turniere zu spielen, wo ich ohne Wildcard reinkomme: Punkte sammeln, damit es vorwärts geht in der Rangliste.
Mischa Zverev trainiert auf dem Tennisplatz
Zuletzt sah es aus, als würden Sie die Karriere austrudeln lassen. Ist doch nochmal der Wettkampf-Funke übergesprungen?
Der Funke war immer da. In letzter Zeit gab es ja nicht viele Turniere, also nicht viele Optionen. Durch Corona ist alles limitiert. Die Felder sind voll besetzt, da kommt man nicht rein. In Australien hab' ich gesagt: 'Ich spiel' Quali, und wenn das nicht klappt, bin ich bei Sascha und mache was für Eurosport.' So ist es dann gekommen. Aber neben dem Fernseh-Job habe ich nebenher zwei, drei Stunden am Tag trainiert.
Wie haben Sie den Seitenwechsel erlebt?
Interessant, macht Spaß. Tennis ist halt meine Leidenschaft, deshalb habe ich auch was zu erzählen, vor allem wenn mir Leute zuhören.
Zuletzt hatten Sie sich um das Management des kleinen Bruders gekümmert, der vor einem Jahr die Federer-Agentur "Team 8" verlassen hatte…
Wir tauschen uns ja permanent aus. All die Gespräche finden eh über Zoom-Calls statt. Das mache ich nebenbei, bin da flexibel. Der Tag hat 24 Stunden, acht bis neun davon kann man schlafen, und den Rest muss man nutzen.
Mischa Zverev arbeitet mit Sergej Bubka zusammen
Familienvater sind Sie auch noch.
Ja, die Tage sind sehr voll, müssen gut organisiert sein, viel schief gehen darf auch nicht. Aber ich habe viel Hilfe von Sergej Bubka (Sohn von Hochsprung-Legende Sergej Bubka, d. Red.). Der übernimmt viel.
Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Wir haben schon in der Jugend Doppel gespielt, mit zwölf. Unsere Familien kennen sich seit 20 Jahren, in Monaco sind wir Nachbarn, er hat auch einen kleinen Sohn, wir gehen oft spazieren, stehen uns sehr nahe, telefonieren mehrmals am Tag, denken in dieselbe Richtung. Er gehört schon fast zur Familie, kennt Sascha gut, hat früher gut gespielt (2011 war Bubka die Nr. 145 der Welt, d.Red.), kann immer noch gute Bälle schlagen - eine harmonische, natürliche Zusammenarbeit. Das Ziel ist klar: Wir wollen das Beste für Sascha.
Mischa Zverev über Bruder Alexander: "Er ist fokussiert und zielstrebig"
Abgesehen von der Pandemie war 2020 für Ihren Bruder ein sehr bewegtes Jahr, auch mit unschönen Schlagzeilen. Wie verarbeitet er das?
Sein Leben steht sehr in der Öffentlichkeit. Es ist viel passiert im letzten Jahr, aber das gehört nun mal zum Leben dazu. Man lernt, mit diesen Situationen umzugehen, und das hat er gut gemacht, was das Tennis betrifft: US Open gut gespielt, Ende letzten und Anfang dieses Jahres auch, dann kam die Verletzung am Ellbogen. Aber man sieht: Er ist fokussiert und zielstrebig.

Konstant ist auch der stete Wechsel im Trainerstab. Nun ist er wieder beim bewährten Modell: Coach Papa.
Man möchte halt Vieles ausprobieren. Er ist schnell von null auf drei gekommen - da ist es normal, dass man sich weiter entwickeln will, dafür braucht man Ressourcen von außerhalb. Er weiß, dass Papa und ich immer da sein werden, er kennt unsere Philosophie und wollte schauen: 'Was gibt's noch? Was kann ich mitnehmen, was mir vielleicht nicht heute, aber in einem Monat oder Jahr hilft?'
Derzeit könnte er Hilfe beim immer wieder aufpoppenden Aufschlagproblem gebrauchen. Rühren die Ellbogen-Problemen nicht von der Überlastung, vom ewigen Aufschlag-Training? Ist das nicht kontraproduktiv?
Man darf ihm da nicht reinreden. Wenn er was machen will, muss er das machen. Da ist er sehr stur - das ist auch gut, weil alle großen Athleten oder Künstler sind stur. Müssen sie auch, denn sie haben ein Ziel vor Augen, das sie erreichen wollen, dafür gehen sie ihren Weg. Wenn er also Aufschlag trainieren will, dann macht er das. Er muss halt lernen, auf seinen Körper zu hören. Wir können nicht in ihn rein schauen, sondern nur sagen, was wir von außen sehen. Am Ende muss er selber entscheiden.
"Ich versuche, jeden in Ruhe zu lassen"
Eine harte Nuss für jeden neuen Coach.
Meine Philosophie, was Trainer angeht: Wenn ein Trainer mit einem Spieler anfängt, braucht er fünf, sechs Monate, in denen er erst mal nur beobachtet. Denn wie kann man etwas verändern, wenn man es nicht in- und auswendig kennt? Näher an die Grundlinie? Leichter gesagt als getan. Vielleicht muss man die Beinarbeit verändern, vielleicht auch nur die vom rechten oder linken Bein. Oder das Verhalten in Stresssituationen: Da muss man genau wissen, was und wann man es sagt, ob man auf Dinge reagiert oder den Fokus davon weg nimmt. Es ist delikat.
Sascha sagte zuletzt auch: "Ich muss nicht jedes Jahr besser spielen als im letzten Jahr." Er wolle sich mehr auf bestimmte Titel konzentrieren.
Er will jedes Turnier gewinnen! Er wird extrem traurig sein, wollte bei den BMW Open (Aus im Viertelfinale, d. Red.) noch viel doller gewinnen als jetzt in Madrid. Aber es gibt halt nur wenige Tage im Jahr, wo wirklich alles klappt. Wenn er merkt: 'Heute geht meine Vorhand nicht so gut', dann bockt er nicht, sondern spielt eben taktisch anders. Da hat er sich in den letzten Monaten extrem gesteigert.
Wie ist Ihr Bruder nach einem verlorenen Spiel? Muss man ihn in Ruhe lassen? Oder braucht er da jemanden?
Ich bin ein Mensch, der versucht, jeden in Ruhe zu lassen, außer er kommt selbst zu mir. Ich bin keiner, der jemandem seine Meinung anhängen will, der Noten gibt. Das ist nicht meine Aufgabe. Wer mich fragt, bekommt eine klare, ehrliche Antwort. Wer mich nicht fragt - egal ob Sascha, meine Eltern, meine Frau oder mein Sohn - den lasse ich in Ruhe. Man muss nicht immer seinen Senf dazu geben - sonst würde es auf der Welt zu viel Senf geben, und das wollen wir nicht.
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