Michalczewski: "Fritz war mein bester Freund, Vater, Lebensberater"

AZ: Herr Michalczewski, am Montag ist Ihr langjähriger Trainer Fritz Sdunek, der Sie zu einem der größten Boxer überhaupt geformt hat, im Alter von nur 67 Jahren an Herzversagen verstorben. Haben Sie die Nachricht für sich schon verkraftet?
DARIUSZ MICHALCZEWSKI: Nein, nicht im Ansatz. Ich bin immer noch schockiert und hoffe, dass gleich mein Telefon klingelt und Fritz dran ist. Ich habe allein schon bei dem Gedanken, dass er jetzt nicht mehr da ist, weiche Knie. Er hinterlässt eine Lücke in der Boxwelt, aber vor allem in meinem Leben, die nicht zu füllen ist. Fritz war für mich alles. Er war mein Trainer, mein bester Freund, mein Partner, mein Bruder, mein Lebensberater und Eheberater. Menschen wie ihn gibt es nicht oft. Noch vor zwei Wochen haben wir telefoniert, er war gut drauf, voller Pläne für die Zukunft.
Klingt so, als hätten Sie so manche Träne vergossen.
Tränen sind ein Zeichen von Traurigkeit, nicht von Schwäche. Und ich bin unsagbar traurig. Weil er eben so ein umwerfend herzensguter Mensch war. Für ihn waren wirklich alle Menschen gleich. Er hat keinen bevorzugt, nur weil einer Weltmeister war oder einen Titel hatte. Ihm ging es immer nur um den Mensch, nie um den Ruhm, den irgendeiner angesammelt hatte. Ruhm und Titel sind vergänglich: Menschliche Werte nicht.
Wie haben Sie den Montag dann zugebracht?
Ich habe mir gleich eine Flasche Whisky genommen und mich ein bisschen weggeballert. Ich musste diesen Schmerz in mir einfach betäuben. Ich habe Fritz zugeprostet, auf ihn getrunken. Er hätte es verstanden, er hätte es so gewollt. Ich war ja der einzige seiner Boxer, mit denen er nicht nur trainiert, sondern auch richtig gefeiert hat. Wir haben viel zusammen erlebt. Sehr viel.
Woran denken Sie zuerst, wenn Sie sich Fritz Sdunek ins Gedächtnis rufen?
An diese unfassbar intensiven Momente vor einem Kampf, wenn er mich an den Ohren gepackt und dann so meinen Kopf geschüttelt hat. Wenn er seine Stirn an meine legte, seine Kraft auf mich übertrug. Das war unser Ritual, so hat er mich in die Schlachten geschickt. Fritz war ein Besessener. Besessen vom Boxen. Und ich war sein Versuchskaninchen, er hat ganz viele neue Trainingsmethoden an mir ausprobiert. Und ich habe ihm dabei stets blind vertraut.
Ihr leiblicher Vater verstarb, als Sie noch sehr klein waren, Sdunek war für Sie dann eine Art Ersatzvater.
Das kann man ohne Übertreibung sagen. Ich konnte mit allem zu ihm kommen. Mit allen Problemen. Und ich hatte in meinem Leben genug davon (lacht). Fritz war meine erste Anlaufstelle, wenn es in der Ehe kriselte, wenn ich wieder Mist gebaut hatte, er hatte einen Rat parat oder hat es gleich selber hingebügelt. Wir waren immer brutal ehrlich zueinander. Deswegen waren wir auch so erfolgreich. Und er konnte in mir lesen wie in einem Buch. Ich hatte keine Geheimnisse vor ihm, ich konnte Sie gar nicht haben, weil er immer genau wusste, was in mir vorging.
Zum Beispiel?
Nun, eigentlich soll man ja als Boxer einen Mittagsschlaf halten, sich erholen. Aber ich war jung und wild. Fritz wusste immer, wenn ich statt ein Nickerchen zu machen bei einer Frau gewesen war und mich lieber vergnügt hatte. Er hat es gemerkt. Jedes Mal. Wir waren uns so nahe, wie man sich unter Männern nur sein kann, ohne ein Liebespaar zu sein. Stellen Sie sich vor: Es gab Momente, direkt vor einem Kampf, da musste ich plötzlich ganz dringend aufs Klo zum Pinkeln. Aber meine Hände steckten schon in den Boxhandschuhen und die waren mit dem Siegel des ausrichtenden Verbandes versehen.
Das Siegel darf nicht gebrochen werden, weil nur so bewiesen werden kann, dass die Boxhandschuhe nicht manipuliert wurden.
Richtig. Also konnte ich nicht selber Hand anlegen. Es gab nur einen Mann, dem ich erlaubt hätte, mein Teil herauszuholen, damit ich Wasser lassen konnte: Papa Fritz. Das war auch für uns kein peinlicher Moment. Er war ja wie mein Vater, ich wie sein Sohn, da ist auch so etwas möglich.
Wären Sie ohne Fritz Sdunek als Boxer so erfolgreich geworden? Sie waren neun Jahre Weltmeister, haben 23 Mal den Titel verteidigt.
Ohne Fritz? Nein! Ich wäre sicher ein guter Boxer geworden, ein sehr guter. Aber er hat mich zu dem gemacht, was ich im Ring war. Er war ein großer Teil meines Erfolges, meines Lebens. Und solange ich lebe, wird er in meinem Herzen weiterleben.