Melbourne: Null Toleranz gegen Randalierer
MELBOURNE - Um Fan-Krawalle - wie in vergangenen Jahren - zu vermeiden, wurden die Sicherheitsvorkehrungen bei den Australian Open massiv verstärkt.
Wer in diesen Tagen über das Festgelände der Australian Open-Spiele schreitet, läuft ihnen eher früher als später über den Weg. Aufgerüsteten Polizei-Patrouillen, bewehrt mit Gummiknüppel, Pfefferspray-Dosen, blökenden Funkgeräten und auch einem Set Handschellen. Die unübersehbare Präsenz der Ordnungshüter hat leider gute Gründe: Denn seitdem das friedliche Bild des „Happy Slam“ am anderen Ende der Welt böse Risse bekommen hat, seitdem Krawallmacher beinahe bei jeder Auflage des Turniers für Prügeleien, nationalistische Scharmützel und Belästigungen der Spieler sorgen, kann sich die Schutzmacht nicht mehr dezent im Hintergrund halten. „Eine Null-Toleranz-Politik muss man auch spüren können“, sagt Superintendent Jock Menzel von Melbournes Polizeipräsidium.
Am Montag, am Tag eins der Australian Open 2010, waren seine Leute gleich wieder im Einsatz. Fast schon erwartungsgemäss. Auf Außenplatz 6 belästigte eine Abordnung kroatischer Aufrührer den tschechischen Profi Radek Stepanek, der gegen den Zwei-Meter-Riesen Ivo Karlovic antrat. Herbeigerufen von Zuschauern, machten die Polizisten kurzen Prozeß mit den Störern und verbannten elf von ihnen kurzerhand von der Anlage. Einige sollen sogar Nazi-Grüße in Richtung eines Fotografen des „Sun Herald Melbourne“ gezeigt haben. „Wir müssen hart durchgreifen, uns bleibt keine Wahl“, sagt der australische Verbandschef Geoff Pollard. Schließlich hat auch Pollard noch die Schreckensbilder des Jahres 2007 vor Augen, als sich gleich am Eröffnungstag des Turniers 150 serbische und kroatische Unruhestifter eine wüste Schlägerei lieferten, bei der Stühle und Tische auf die Rivalen geschleudert wurden. Einen „Hauch von Bürgerkrieg“ entdeckte damals der „Herald Sun“ in den Auseinandersetzungen.
Längst sind die Zeiten der fröhlich bechernder Schweden und Holländer vorbei, die in glühender Sommerhitze literweise das Bier hinunterkippten, aber gegen niemanden die Hand erhoben. Stattdessen beherrschen nun meist aggressiv aufgeladene Fans vom Balkan die Szenerie, Kids aus den Vorstädten, die auf der Tennisanlage ihre Ersatzkriege ausfechten – wenn sie denn Gelegenheit dazu bekommen. Sie beschimpfen gegnerische Spieler, sie beleidigen gegnerische Fans, und irgendwann, je nach Status des Alkoholkonsums, fliegen dann auch schon mal die Fäuste. „Viele Sportarten plagen sich mit diesen Problemen herum, ganz besonders der australische Fußball“, sagt Reporterin Linda Pearce vom lokalen Blatt „The Age“. In der australischen Premier League wachen meist Polizeiaufgebote darüber, dass sich Bosnier, Serben oder Kroaten wenigstens nicht im Stadion oder drumherum an die Gurgel gehen.
Bis zu 65 000 Fans drängeln sich täglich auf der Anlage
Selbst Tennisprofis verschärfen zuweilen noch die Probleme: So wurde der einstige Australian Open-Finalist Marcos Baghdatis vor zwei Jahren heimlich gefilmt, als er – offensichtlich angetrunken - Schmähgesänge gegen Griechenland grölte. Die Anhänger des Zyprioten fallen besonders übel mit ihrem unentwegten Gebrüll und mit Störungen der Gegner ihres Helden auf. „Es ist so ein wunderschöner Platz zum Tennisspielen, dass es einen besonders ärgert, wenn es hier immer diese Ausschreitungen gibt“, sagt Roger Federer, die Nummer 1 der Welt.
Auch wenn die nationalistischen Scharmützel wenig mit dem Grand Slam-Spektakel zu tun haben, sind die Tennisbosse nicht ganz unschuldig daran, dass die allgemein heiter-friedliche Stimmung rund um die Rod Laver-Arena zuletzt verloren gegangen ist. Denn im Bemühen, mit den anderen Grand Slam-Turnieren gleichzuziehen, haben die Australier ihre Expansion einfach überdreht – inzwischen werden in den beiden Major-Wochen weit über 600 000 Zuschauer im National Tennis Center gezählt. In den Anfangstagen, wenn auf 20 Plätzen parallel gespielt wird, drängeln sich bis zu 65 000 Fans im nicht eben ausladenden Australian Open-Revier. Das Schubsen und Stoßen erzeugt Spannung, die sich auch bei harmloseren Zeitgenossen immer wieder in Wortgefechten oder Rangeleien entlädt. Wegen der generellen Überfüllung können viele Besucher kaum vernünftiges Live-Tennis sehen – oder eben nur aus zweit- bis drittklassiger Perspektive. Im letzten Jahr hatte die amerikanische Journalistenlegende Bud Collins, ein Australian Open-Beobachter seit über 40 Jahren, warnend gesagt, das „großartige Fanerlebnis“ sei „in Gefahr.“
Dass Handlungsbedarf besteht, haben auch die Tennis Australia-Bosse um Macher Geoff Pollard erkannt. Am Dienstag gaben sie bekannt, dass das Grand Slam-Turnier bis zum Jahr 2036 in Melbourne verbleiben und gleichzeitig die Infrastruktur massiv ausgebaut werde – zu einem geschätzten Investitionsvolumen von 233 Millionen Euro. Künftig soll es nicht nur bessere Trainingsmöglichkeiten für die Spieler, einen dritten überdachten Court und eine renovierte Rod Laver-Arena geben, sondern allem voran mehr Komfort und Platz für die Heerscharen von Fans.
Jörg Allmeroth