Melanie Oudin: Cinderella im Hexenkessel

New York feiert Melanie Oudin (17): „Sie ist das klassische All American-Girl: nett, unkompliziert, ehrgeizig, freundlich“
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Emotions-Bündel: Melanie Oudin, Amerikas neuer Tennis-Darling.
AP Emotions-Bündel: Melanie Oudin, Amerikas neuer Tennis-Darling.

NEW YORK - New York feiert Melanie Oudin (17): „Sie ist das klassische All American-Girl: nett, unkompliziert, ehrgeizig, freundlich“

Als Melanie Oudin am Montagabend aus einer dunkelblauen Limousine des US Open-Fahrdienstes vor dem feinen „W“-Hotel ausstieg, da bildete sich in der Lexington Avenue sofort ein größerer Menschenauflauf. „Go Melanie“, riefen Passanten der zierlichen Teenagerin zu. Oder: „You can do it, Melanie.“ Eingerahmt von zwei breitschultrigen Bodyguards, winkte die 17-jährige den Fans auf der Straße fast verlegen zu, setzte dafür aber ihr schönstes und gewinnendstes Lächeln auf: „Ich bin noch nicht gewöhnt, dass man mich erkennt“, sagte Oudin da, „aber ich muss sagen: Es ist kein schlechtes Gefühl.“

Zwei strahlende Gesichter und zwei denkwürdige Geschichten haben sich bei diesen US Open 2009 bisher ins Hirn eingebrannt: Da wäre die grandiose Rückkehr von Mama Kim Clijsters, sozusagen der sentimentale Gefühlsknüller in Flushing Meadow. Und da wären die herzerfrischenden Auftritte von „Little Miss Surprise“ Oudin, die den sensationellen Knalleffekt bei einem Turnier liefern, das Karrieren befördern kann wie kein anderes. Denn wer sich, wie Newcomerin Oudin, im New Yorker Tennis-Hexenkessel eisern behauptet, wer scheinbar mühelos den neuen Erwartungsdruck einer sportverrückten Nation aushält, wer serienweise die Großen und Mächtigen in leidenschaftlichen Duellen ausschaltet, dem gehört die Zukunft auch über dieses Grand Slam-Spektakel hinaus.

„Melanie ist so unglaublich positiv. So stark im Kopf – das ist schon phänomenal“, sagte die Trainerin des US-Fed Cup-Teams, Mary-Joe Fernandez, nach dem 1:6, 7:6 (7:2), 6:3-Sieg Oudins über die Weltranglisten-Elfte Nadia Petrowa, „sie ist eine Kämpferin, wie man sie nur einmal in einer Generation findet.“ Wie eine Tennis-„Cinderella“ aus dem Märchen kam Oudin der „New York Times“ vor: „Das ist schon Magie.“

"Die riesigen Russinnen haben ihre Power, ich habe meinen Kampfgeist"

Als Oudin mit neun Jahren die Fernsehübertragungen aus Wimbledon verfolgte, da kündigte sie ihrer Mutter Leslie fest entschlossen an: „Spätestens mit 16 werde ich auf diesen großen Plätzen stehen.“ Und das tat sie dann auch, bei den Juniorinnen-Wettbewerben 2008 in London, später auch in New York – ein kampfeslustiges, unbeugsames, nie zweifelndes Mädchen, das ganz und gar nicht mit ihrer geringen Körpergröße von 165 Zentimetern haderte. „Diese riesigen Russinen haben ihre Power, ihre harten Grundschläge. Ich habe meinen Kampfgeist“, gab die Teenagerin damals dem Fachblatt „Tennis Weekly“ keck zu Protokoll, „ich werde schon meinen Weg gehen.“ Ein Jahr später, nun schon auf der WTA-Tour unterwegs und bei Grand Slams im Einsatz, lernte Wimbledon diese kleine, große Fighterin erstmals in ganzer Pracht erkennen – auf dem Weg ins Achtelfinale schaltete sie nicht zuletzt die Serbin Jelena Jankovic aus, immerhin mal die Nummer 1 der Branche.

Doch die sensationelle Siegesserie bei den US Open, beimr vielbeschworenen „Superbowl“ des amerikanischen Tennis, toppt natürlich alles für die sympathische Teenagerin. Vier Siege und drei faustdicke Überraschungen von „Marvellous Mel“ („Boston Globe“) sorgten schon fürs landesweite Halleluja, für dicke Schlagzeilen selbst auf den Titelseiten der US-Zeitungen und erste Anfragen von äusserst interessierten Sponsoren. „Sie ist das klassische All American-Girl. Sie ist nett, unkompliziert, freundlich und ehrgeizig. Diese Mischung stimmt“, sagt Chris Widmaier aus der PR-Abteilung des US-Tennisverbandes (USTA). Nun müsse allerdings aufgepaßt werden, dass der neue Superstar „nicht überrollt wird“, sagt Lindsay Davenport, bei den US Open als Kommentatorin für den „Tennis Channel“ im Einsatz: „Melanie muss weiter behutsam aufgebaut werden. Aber die Familie hat das scheinbar gut im Griff.“

"Sie spielt wie im Rausch, wie im eigenen Universum"

Für die besonnene und weitsichtige Karriereförderung steht an erster Stelle Brian de Villiers, der Coach aus Zimbabwe, der Oudin schon seit frühen Kindertagen betreut und zum „zweiten Vater“ (Oudin) geworden ist. De Villiers ist ein ganz ruhiger, ganz unaufgeregter Zeitgenosse, der den Aufstieg in die Weltspitze seit Jahren glasklar hat kommen sehen: „Ich müsste ein Heuchler sein, wenn ich sage: Das ist eine Überraschung für mich.“ Was seine Schülerin besonders auszeichne, sagt der Übungsleiter, „ist ein unerschütterlicher Wille. Sie gibt nie auf, absolut nie. Du kannst dir nie sicher sein gegen Melanie.“ Vor sechs Jahren waren sie beide, der Coach und das Tenniskind, bereits einmal nach New York gereist, zu den US Open: „Wir haben alle Stars gesehen. Am meisten war Melanie von Justine Henin beeindruckt. Wie sie sich als Kleine gegen die stärkeren Athletinnen durchsetzte.“

Und genau wie die schlaue Großmeisterin Henin stürzt sich die Himmelsstürmerin aus dem amerikanischen Südwesten zäh und verbissen in die Duelle, läßt sich auch durch noch so große Rückstände irritieren – und findet mit ihren 165 Zentimetern Körpergröße irgendwie stets einen Weg, die bulligen, hochgewachsenen Rivalinnen in den Ringstaub zu stürzen. Ihre Coolness verblüfft selbst Papa John Oudin: „Sie spielt wie im Rausch, wie im eigenen Universum. Nicht kann sie stören“, sagt er, „ich weiß nicht, wie sie das macht.“ Am Mittwoch kann er womöglich aufs Neue versuchen, das Rätsel aufzulösen, dann, wenn seiner bereits unter die Top 50 vorgerückte Tochter zur Abwechslung nach vier Russinnen (Pawljuschenko, Dementiewa, Scharapowa und Petrowa) nun Carolin Wozniacki aus Dänemark gegenübersteht. Das Motto fürs Spiel hat Oudin klar vorgegeben: „Auch wenn ich 0:6, 0:5 hinten liege, glaube ich an den Sieg.“

Jörg Allmeroth

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