Meister ohne Zuschauer

München - Beinahe wäre Joe Kenworthy in den USA, seinem Heimatland, Gefängniswärter geworden. Es war nicht der absolute
Maximilian von Harsdorf |
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Ein Münchner Spieler (weiß) versucht im Zweikampf seinem Gegenspieler aus Hamburg zu entwischen.
honorarfrei Ein Münchner Spieler (weiß) versucht im Zweikampf seinem Gegenspieler aus Hamburg zu entwischen.

München - Beinahe wäre Joe Kenworthy in den USA, seinem Heimatland, Gefängniswärter geworden. Es war nicht der absolute Traumjob für den stämmigen Mittdreißiger, aber immerhin gut bezahlt. Nicht das Schlechteste für einen, der meist nicht gut bei Kasse war und nach einem Studium in Geschichte nicht so richtig wusste, wohin im Leben. Beinahe abgeschlossen hatte er die Ausbildung schon, als im März 2010 der Anruf aus Deutschland kam.

Heute behält Kenworthy, eigentlich ganz wie ursprünglich geplant, einen Haufen einheitlich gekleideter, meist junger Männer im Auge und passt auf, dass niemand aus der Reihe tanzt, allerdings nicht auf einem Gefängnishof in den USA, sondern als Lacrosse-Trainer des HLC München, die auf der Anlage von Rot-Weiß München im Sendlinger Westpark spielen.

Molly McCourt, Trainerin der Damenmannschaft und eine alte Freundin Kenwor-thys, hatte den Kontakt hergestellt, als das recht erfolglos agierende Männer-Team einmal mehr auf Trainersuche war. Kenworthy zögerte nicht lange: „Ich habe die USA bis dato nie verlassen und wollte unbedingt einmal aus dem Land herauskommen“, erklärt er: „Außerdem habe ich 26 Jahre Lacrosse gespielt, der Sport war immer ein riesiger Teil meines Lebens. Die Chance, das weiter so halten zu können, wollte ich nutzen.“

Der befürchtete Kulturschock in Deutschland blieb wider Erwarten aus. „Ich war überrascht, auf welchem Level hier gespielt wird. Ich dachte, ich muss denen beibringen, wie man Ball fängt und Schläger hält – zum Glück habe ich mich getäuscht“, erinnert sich Kenworthy.

Mittlerweile ist der bärtige Amerikaner mit seinem Team sogar amtierender Deutscher Meister und hat die Chance, an diesem Wochenende (11. und 12. Juni) bei den Deutschen Meisterschaften in Bremen die Titelverteidigung perfekt zu machen. Nur so richtig mitbekommen hat es keiner: „Manchmal schaut bei unseren Spielen nur das Frauenteam zu. Bei den Finals sind es jetzt immerhin ein paar hundert Leute. Für unsere Verhältnisse ist das schon eine ganze Menge“, berichtet Kenworthy und fasst damit das Dilemma der Sportart zusammen.

Das Leistungsgefälle in der Liga ist hoch, Zuschauer sind rar und Sponsoren sind erst gar keine in Sicht. Teilweise tragen die Vereine der in vier Staffeln unterteilten Bundesliga sogar mehrere Spiele an einem Wochenende aus, um sich Organisationsaufwand und -kosten zu sparen.

Dem Enthusiasmus, mit dem Kenworthy seiner Tätigkeit nachgeht, tut das jedoch keinen Abbruch: „Am Ende spielen wir nur für uns. Wir spielen, weil wir den Sport lieben“, so der Erfolgscoach: „Ich persönlich sehe mir auch in meiner Freizeit Videos von Spielen an. Und wenn ich damit durch bin, dann schaue ich die selben Spiele noch einmal in Zeitlupe.“

Der Kampf gegen Windmühlen, das Bemühen, Lacrosse auch in Deutschland zu einer anerkannten Sportart zu machen, Kenworthy hat ihn bereitwillig aufgenommen: „Ich arbeite heute härter als je zuvor. Und es sind die kleinen Schritte. Als ich hierher gekommen bin, war alles noch viel unorganisierter. In diesem Jahr hatten wir beispielsweise erstmals eine Pre-Season gegen andere Teams“, berichtet Kenworthy.

Große Hoffnungen setzt er in einen Trend, der sich momentan jenseits des Atlantiks entwickelt: „In den USA ist Lacrosse momentan der In-Sport schlechthin. Ich hoffe, dass diese Welle auch nach Deutschland schwappt.“

Wie sich die Lage hier auch entwickeln mag, in nicht all zu ferner Zukunft möchte auch Kenworthy wieder zurück in seine Heimat: „Ich liebe Deutschland, habe hier in München mittlerweile auch einen Nebenjob als Fahrrad-Guide. Aber trotzdem ich vermisse die USA.“

Geschichts-Professor, das wäre sein Traumjob. Oder Lacrosse-Trainer, am besten am College. Eine weitere Option findet hingegen nicht die uneingeschränkte Begeisterung Kenworthys: „Ich könnte auch noch meine Ausbildung zu Ende bringen und doch Gefängniswärter werden. Wobei, wenn ich darüber nachdenke: wahrscheinlich eher nicht.“

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