"Meine Frau hat Angst um mein Leben"
Am Samstag boxt Vitali Klitschko wieder um den WM-Titel. Mehr als das Comeback aber macht seiner Natalie die Politik Sorgen.
AZ: Herr Klitschko, wie fühlt man sich dann als „Dr. Frankenstein“, als „großer, hässlicher Zombie“, als „Witzfigur“? All das hat Ihnen Kevin Johnson, gegen den Sie am Samstag in Bern Ihren WM-Titel verteidigen, an den Kopf geworfen.
VITALI KLITSCHKO: Ich sage nur so viel: Ich erzähle ja selber sehr gerne Witze und daher weiß ich sehr genau: „Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“ Ansonsten interessieren mich die Sprüche nicht. Ich bin seit über 20 Jahren Boxer. Ich habe diese Sprüche alle schon so oft gehört. Wenn Sprüche Macht hätten, wäre ich schon mehrfach im Ring beerdigt worden, wäre andauernd heulend zu meiner Mutter gelaufen. All das ist nicht passiert. Viele versuchen, ihre mangelnde Härte, ihr fehlendes Können, hinter Machosprüchen zu verstecken.
Und bleiben dann den Beweis ihrer Manneskraft im Ring oft schuldig.
Ich habe in all den Jahren gemerkt, dass die Hunde, die am lautesten bellen, am schwächsten zubeißen. Je härter die Sprüche, umso schwächer die Schläge. Es gab nur eine Ausnahme: Muhammad Ali. Er hat nicht nur eine große Klappe, er hatte noch größere Fähigkeiten. Egal, was er angekündigt hat, er hat Wort gehalten. Aber er ist die Ausnahme. Und das letzte Mal, dass ich Johnson sah, hatte er keine Ähnlichkeit mit Ali. Alles, was ich zu dem Fight sage, ist: Ich werde keine Gnade kennen und ich alles tun, um meine K.-o.-Quote zu verbessern.
Die mit über 97 Prozent die beste in der Box-Geschichte ist.
Das heißt aber nicht, dass sie nicht zu verbessern wäre.
Wo wir bei Sprücheklopfern sind: Wie hat Ihnen der Fight von David Haye gegen Walujew gefallen? Mit Haye haben Sie, nachdem er sowohl den Kampf gegen Ihren Bruder Wladimir als auch den Fight gegen Sie platzen ließ, eine Rechnung offen.
Der Kampf gegen Walujew war langweilig. Wer so redet, sollte mehr abliefern. Und ja, ich habe noch eine Rechnung mit ihm offen. Nicht nur wegen der geplatzten Kämpfe, sondern vor allem, weil er im Vorfeld von Wladimirs Kampf jede Grenze des Anstands unterboten hat, als er sich mit den T-Shirts präsentierte, auf denen er unsere abgehackten Köpfe hochhielt. Das werde ich ihm nie verzeihen, denn es hat unsere Mutter getroffen. Ich bin sehr nachtragend. Ich denke, er war auch nicht verletzt, als er den Fight gegen Wladimir absagte. Das war vorgetäuscht. Ich habe oft gesagt, dass Boxer Künstler sind. Wenn es zum Kampf gegen Haye kommen sollte, also, wenn er nicht wieder kneift, werde ich ein Kunstwerk aus ihm machen. Meine Fäuste werden die Pinsel sein, sein Gesicht die Leinwand. Ich werde sehr viel Farbe verwenden.
Zu Ihrer Zweitkarriere als Politiker: Die Situation in Ihrer Heimat Ukraine ist prekär.
Ja, es ist schlimm. Ich empfinde es als peinlich, wenn in unabhängigen Berichten die Ukraine als eines der korruptesten Länder der Welt bezeichnet wird. Ich schäme mich dann. Die Korruption ist bei uns wie eine Hydra. Schlägst du einen Kopf ab, wachsen zwei nach. Aber ich weigere mich, der Korruption das Feld zu überlassen.
Warum tun Sie sich das Politiker-Dasein in der Ukraine an? Sie sind Multi-Millionär, in der Welt zu Hause, Sie können sorgenfrei leben...
Matthias, wir kennen uns schon lange: Aber jetzt klingen Sie erstmals wie meine Frau, die sagt die gleichen Dinge! Spaß beiseite: Ich wollte nie Politiker werden. Denn die Politik in der Ukraine ist ein sehr schmutziges Geschäft. Aber es ist meine Heimat und ich will nicht tatenlos zusehen, wie meine Heimat an der Korruption erstickt. Man hat alles versucht: Petitionen, Wahlen, Bittbriefe. Es hat nichts genützt. Jetzt versuche ich meinen Teil dazu beizutragen, das System von innen zu säubern.
Eine gewaltige Aufgabe.
Ja, selbst meine Frau unterschätzt mich und hat gesagt, das ist nicht zu schaffen. Aber ich habe ihr gesagt: Lass mich bitte machen, das ist eine Sache, die ich tun muss. Wir zusammen werden das schaffen.
Wieviel Angst hat denn Ihre Frau um Sie? Sie legen sich ja in der Ukraine mit sehr gefährlichen Mächten an.
Meine Frau sagte mir kürzlich, dass sie Angst um mein Leben hat. Sie hat es nicht gemocht, dass ich in den Ring zurückkehrte, jetzt hat sie um mich weniger Angst im Ring als in der Politik. Das hätte sie sich nie träumen lassen. Ich bin vorsichtig, denn wie Sie sagten, es geht nicht zimperlich zu in der Ukraine. Wenn Sie wissen wollen was ich meine, schauen Sie sich das Gesicht unseres Präsidenten an.
Viktor Juschtschenko, der wohl aufgrund mehrerer Giftanschläge, schlimme Entstellungen im Gesicht hat.
Genau. Aber ich bin mir dessen bewusst und lasse mich auch davon nicht stoppen. Wie könnte ich, Vitali Klitschko, der durch seine Prominenz sicher einen gewissen Schutz hat, von den Mitbürgern erwarten, dass sie, die keinen Schutz haben, sich für die Demokratie einsetzen, wenn ich es selber nichts tue?
Sie sind ständig unterwegs. Haben Sie überhaupt Zeit für Ihre eigenen drei Kinder?
Die ehrliche Antwort lautet: nein. Ich bin da ein schlechter Vater. Meine Kinder erhalten zwar die beste Ausbildung, aber ich bin ein viel zu abwesender Vater. Diese Zeit, die ich mit ihnen verliere, bringt uns keiner jemals zurück. Aber zu Weihnachten werde ich mir viel Zeit für sie nehmen. Wir werden bei Wladimir in Florida feiern, meine Eltern sind schon da. Ich habe meinen Kindern einen Besuch in Disneyland versprochen. Ich will, dass für unsere Kinder Weihnachten genauso magisch ist wie für mich. Es herrschte ja damals der Kommunismus, so gab es das christliche Weihnachten eigentlich nicht. Aber bei meiner Oma in Kasachstan, draußen lagen zwei Meter Schnee, da war dann doch ein geschmückter Baum. Und sie kochte Milch auf! Das waren für mich magische Momente, die will ich auch meinen Kindern schenken.
Interview: Matthias Kerber
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