"Mein Leben ist völlig unspektakulär"

Ein letzter Titel fürs Lebenswerk: AZ trifft Mehmet Scholl, Münchens Sportler des Jahres, auf der Kegelbahn
Wer Münchens Sportler des Jahres in Aktion erleben will, der muss auch weiterhin zur Säbener Straße. Allerdings nicht zur Nummer 51, wo die Profifußballer des FC Bayern trainieren. Nummer 49, eine städtischen Turnhalle, es geht über den Parkplatz in den Keller, vorbei an der Vereinskneipe – und dann auf die Kegelbahn! „Siebener, Achter, Neuner – Holz, Holz, Holz!“, rufen sie, die dahinter sitzen, zwischen Weißbier und Fleischpflanzerl. Und dort vorne, auf der Bahn, ballt Mehmet Scholl die Faust: Er hat getroffen, alle Neune! Scholl freut sich wie früher, nach wichtigen Toren. Allein, es sind keine 69 000 Zuschauer mehr wie in der Allianz Arena bei seinem Abschied im August. Heute kommen vielleicht zwanzig. Jessica ist da, Scholls schwangere Frau. Auch Sohnemann Lucas- Julien (11) schaut zu. Hinter der Bahn stehen grauköpfige Routiniers. Sie geben Zeichen, feuern ihn an: „Passt scho!“ „Gut so, Mehmet!“ Ein kurzes Nicken, keine langen Dialoge. Den Blickkontakt sucht er oft. Um Bestätigung zu bekommen. Der 37-Jährige kegelt seit seinem Karrierende vor einem halben Jahr für die erste Mannschaft in der Bezirksliga. Auch die Sportkegler tragen das Bayern- Trikot, ohne Rückennummer. Statt Stutzen trägt Scholl Tennis-Socken. Statt Stollen besondere Bahn-Schuhe. Scholl wirkt ruhig und konzentriert, bevor er wirft. Vor jedem Wurf haucht er in seine rechte (Wurf-) Hand. Dann geht’s los: ein, zwei, drei Schritte Anlauf – und Holz! Danach schneidet er auch mal eine Grimasse, jetzt mimt einen Biss in die gelbe Kugel. Als 14-Jähriger wurde er Deutscher Vize-Mannschaftsmeister in Karlsruhe. Jetzt, mit 37 und nach der Fußballer-Karriere, kegelt er wieder. Letzten Samstag, beim 5363:5521 gegen SKC Alemannen II sah die AZ ihm zu.
AZ: Glückwunsch, 901 Holz für Sie und Platz zwei für Ihr Team in der Tabelle hinter SKC Waldfrieden.
MEHMET SCHOLL: Es war hart am Ende. Und es war wichtig: Wir wollen aufsteigen. AZ: Wie geht’s am Tag danach? Was macht der Muskelkater?
MEHMET SCHOLL: Der ist da. Ich konnte zuvor zehn Tage nicht trainieren. Kegeln sieht einfacher aus als es ist. Außerdem war ich ja 17 Jahre komplett raus.
AZ: Wie fit sind Sie denn?
MEHMET SCHOLL: Ich gehe regelmäßig laufen.
AZ: Wie oft können Sie mit der Mannschaft trainieren?
MEHMET SCHOLL: Ich trainiere meistens zu anderen Zeiten, relativ alleine. Ich habe einen Mentor, der Bundesliga spielt und mir Tipps gibt, was ich ändern muss. Ich will besser werden.
AZ: In der Vorrunde kegelten Sie in der zweiten Mannschaft, nun ist es die Erste.
MEHMET SCHOLL: Ich wurde hoch gemeldet. Das geht. Meine Ambitionen waren natürlich immer die erste Mannschaft.
AZ: Fans kommen keine.
MEHMET SCHOLL: Die Kegler sind ein eigenes Volk, sie lassen mich in Ruhe. Ich bin ja einer von ihnen, einer von Sechs.
AZ: Wie fällt die 3. Halbzeit aus?
MEHMET SCHOLL: Die sollte sein. Aber Kegeln ist ein anstrengender Sport. Kein Spazierengehen, sondern mit Schwitzen, mit allem drum und dran. Kegeln ist verschrieen als Saufsport. Aber wenn du 200 Kugeln gespielt hast, merkst du am nächsten Tag, dass es Sport ist.
AZ: Kegeln kann doch nicht alles sein, was Sie beim FC Bayern machen. Wie schaut’s aus mit einem neuen Job? Der Manager will Sie doch einbauen.
MEHMET SCHOLL: Ich habe bald ein Gespräch mit Uli Hoeneß. Danach sind wir alle schlauer.
AZ: Was treibt ein Mehmet Scholl sonst die ganze Woche?
MEHMET SCHOLL: Schreiben Sie: Mein Leben ist völlig unspektakulär.
Thorsten Klein