„Mein Leben hängt nicht vom Tourneesieg ab“

München - Der 27-jährige Severin Freund war Skisprung-Weltmeister (2015), Skiflug-Weltmeister (2014), Team-Olympiasieger (2014) und Gesamtweltcup-Sieger (2014/15). Bei der Vierschanzentournee gehört er zu den Favoriten. Vor dem Tournee-Start mit der Qualifikation in Oberstdorf am Montag hat Freund der AZ ein Interview gegeben.
Herr Freund, vor der Saison haben Sie erzählt, dass alle Ihre Medaillen an einer Holzskulptur in Ihrem Wohnzimmer hängen, die einer Schanze nachempfunden ist, daneben stehen die Pokale. Für die Siegertrophäe der Vierschanzentournee ist aber schon noch ein spezieller Platz reserviert, oder?
SEVERIN FREUND: Naja, meine Münchner Wohnung ist jetzt nicht wahnsinnig groß, aber für so eine Trophäe würde ich den passenden Platz schon noch schaffen (lacht).
Sie haben ja mittlerweile fast alles gewonnen: Sie waren Weltmeister, Team-Olympiasieger und Gesamtweltcup-Sieger. Der Einzel-Olympiasieg fehlt Ihnen noch – und eben der Tourneesieg. Fühlen Sie sich heuer bereit für den großen Wurf?
Ja, aber das habe ich ehrlich gesagt schon die letzten Jahre. Dass man sich bereit fühlt, ist nur ein Schritt. Und dann müssen noch viele andere Sachen stimmen.
Woran liegt es, dass es die letzten Jahre bei der Tournee nicht so geklappt hat? Ihre beste Platzierung war Platz 7.
Man muss das differenziert sehen. Im vergangenen Jahr war ich körperlich nicht in der richtigen Verfassung. Ich war nicht fit genug, dass ich das Niveau, das bei der Tournee enorm hoch war, halten hätte können. Die einzelnen Bausteine – Athletik, Technik – haben sich erst später zusammengefügt. Das ist das Spiel im Skispringen, dass man nicht alles selbst in der Hand hat. Ich glaube nach wie vor, dass man bei der Tournee ein bisschen stärker springen muss als momentan im Weltcup.
Können Sie die besondere Herausforderung einer Tournee erklären?
Man darf halt wirklich keinen Sprung verpatzen. Wenn im Weltcup mal einer daneben geht, okay, dann hast du am nächsten Tag eine neue Chance, über die Saison hinweg kannst du den Fehler wieder ausbügeln. Das funktioniert bei der Tournee nicht, da zählt jeder Sprung. Was dann noch dazukommt: Du hast vier Wettkämpfe auf vier sehr unterschiedlichen Schanzen kurz hintereinander. Dazwischen hast du keine Zeit, über das Training wieder Anschluss zu finden. Das haben wir im Sommer auch simuliert: Den Schanzenwechsel, die Abläufe. Wir haben sogar in den selben Hotels gewohnt. Du musst auf den Punkt in Topform sein – und dann musst du es durchziehen.
Wer überträgt wann im TV? Der Zeitplan der 64. Vierschanzentournee
Ist man vielleicht auch ein bisschen verunsichert, weil es die vergangenen Jahre nicht optimal gelaufen ist?
Naja, man spürt irgendwann, dass das vielleicht ein Wettkampf ist, der mir nicht optimal liegt. Auf der anderen Seite ist bei mir in den vergangenen Jahren so viel richtig gelaufen. Das gibt mir die Sicherheit zu sagen: ‘Okay, mein Leben hängt nicht vom Tourneesieg ab.’
Sie würden also nicht sagen, Ihre Karriere wäre unvollendet ohne Tourneesieg?
Nein, auf keinen Fall. Ich kann auch ohne Tourneesieg nachts gut schlafen. Wenns irgendwann klappt, wäre ich extrem glücklich und dankbar. Aber es gibt auch Wichtigeres, ich bin über jeden Weltcupsieg, jeden Podestplatz dankbar, jeder kann dein letzter sein. Ich kann nur jedes Jahr alles geben und schauen, was dabei rauskommt.
In den letzten sieben Jahren haben immer die Österreicher den Tourneesieg abgeräumt. Wen sehen Sie diesmal als Ihre größten Konkurrenten um den Gesamtsieg?
Die Frage spare ich mir heuer. Auch letztes Jahr hat jeder gesagt, es wird ein Springer den Tourneesieg holen, der schon einen Weltcup gewonnen hat. Und dann haben sich mit dem Stefan Kraft und dem Michael Hayböck zwei um den Sieg gestritten, die vorher noch ohne Saisonsieg waren. Vorher kann man nicht abschätzen, bei wem der Knopf genau in den Tagen vor der Tournee aufgeht, auch wegen der Weihnachtspause. Das hast du irgendwann nicht mehr selber in der Hand.
Sven Hannawald war vor 14 Jahren der letzte Deutsche, der die Tournee gewonnen hat. Haben Sie sich von ihm Tipps geholt?
Das braucht’s nicht. Wenn du jemanden kopieren willst, geht’s erst recht nicht auf. Ich muss meinen eigenen Weg finden, wie ich Erfolg haben kann, und darf mich nicht in eine Rolle zwängen.
Sie stammen aus Waldkirchen in Niederbayern, wohnen aber seit einigen Jahren in München. Ihre Mutter hat erzählt, das sei besser für Sie, Sie seien hier anonymer. Was mögen Sie denn am meisten an München?
Ich mag die Stadt sehr gern. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten, in der wenigen Zeit, die wir haben, abzuschalten. Das ist für mich und meine Freundin Caren sehr wichtig. Es gibt viele gute Restaurants. Und die Anonymität ist schon ein Vorteil. In München merkt man halt, dass es auch Wichtigeres gibt als Skispringen (lacht).
Und wie haben Sie Weihnachten gefeiert? Sehr viel Entspannung war ja wahrscheinlich nicht drin vor so einem wichtigen Wettbewerb.
Für mich ist diese Zeit immer sehr wichtig. Dass ich nochmal komplett abschalten kann und nicht an Skispringen denke. Das holt einen früh genug wieder ein. Wir haben bei meinen Eltern in Waldkirchen und den Eltern meiner Freundin in Berchtesgaden gefeiert. Bei meinen Eltern gab’s Ente und, was unglaublich wichtig ist: echte Kerzen am Baum.
Ente? Können Sie sich das überhaupt leisten so kurz vor der Tournee?
Ja, doch, ein bisserl Speicher braucht man eh, die Tournee wird anstrengend genug.
Und Alkohol?
Auch ein Glaserl Wein darf mal sein, das macht nicht gleich alles kaputt. Aber man kippt sich halt nicht eine Flasche Glühwein nach der anderen rein.
Ihre Mutter hat gesagt, wenn Sie oben auf der Schanze stehen, hat sie immer noch Angst, sie zittert bei jedem Ihrer Sprünge. Wie beruhigen Sie die Mama?
Naja, es gibt sicher Sportarten, die für die Eltern weniger Stress bedeuten. Aber ich glaube, wir sind in unserem Sport recht sicher unterwegs. Im Fußball oder beim Skifahren gibt es viel schlimmere Verletzungen, bei denen dann auch Schäden bleiben. So versuche ich, meine Eltern zu beruhigen. Manchmal hilft’s auch.
Sie studieren nebenher Internationales Management an der Hochschule in Ansbach. Wollen Sie nach Ihrer Karriere weiter im Skispringen tätig sein oder was komplett anderes machen?
Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung. Und das finde ich auch gut so. Das kann ich mir danach in Ruhe überlegen. Ich habe keinen Zehn-Jahres-Plan in der Hinterhand.