McEnroe: „Verrückt, oder?“
Nach elf Stunden und fünf Minuten gewinnt John Isner das längst Tennismatch aller Zeiten. Und Legende McEnroe ist begeistert.
LONDON Die Partie war unglaublich. Nach sage und schriebe zehn Stunden Spielzeit waren John Isner und sein französischer Gegner Nicolas Mahut vom Platz gegangen. Ihr Zweitrundenmatch in Wimbledon war am Donnersdtag um 21.10 Uhr wegen Dunkelheit abgebrochen worden – beim Stand von 6:4, 3:6, 6:7, 7:6, 59:59. Gestern nun ging das längste Tennismatch aller Zeiten tatsächlich zu Ende. Sieger Isner sank, nachdem der Matchball zum 70:68 im fünften Satz verwandelt war, zu Boden. Nach insgesamt 11:05 Stunden. „In so einer Atmosphäre fühlt man sich nicht müde“, sagte der US-Amerikaner. Und Mahut ergänzte: „Wimbledon ist das größte Turnier und wir haben das größte Match gespielt.“
So sieht es auch Tennis-Legende John McEnroe. Die AZ sprach mit dem New Yorker.
AZ: Herr McEnroe, haben Sie jemals etwas Vergleichbares auf einem Court gesehen?
JOHN MCENROE: Nein, das sprengt alle bisherigen Dimensionen. Das ist größer als viele Grand-Slam-Endspiele, das ist ein Match, das man sich gar nicht hätte vorstellen können.
Was macht auf Sie den größten Eindruck?
Die Willenskraft dieser Spieler, diese psychische Leistung über alle bekannten Grenzen hinweg. Da schlägt ein Mann wie Mahut 50 Mal und mehr gegen den Matchverlust auf und bringt alle seine Aufschlagspiele durch. Sie sollten ihm daheim in Frankreich den roten Teppich ausrollen – genau wie John Isner daheim. Dieses Spiel, das ist eine der größten Geschichten, die es im Sport überhaupt gegeben hat. Nicht nur im Tennis.
Auch Sie haben einmal etwa sechs Stunden gegen Boris Becker im Davis Cup gespielt. Aber so etwas wie hier ist ohne Beispiel, oder?
Ganz sicher. Ich hatte nach sechs, dann fast sieben Stunden am Mittwoch das Gefühl: Die müssen doch jetzt gleich umfallen. Wie um Himmelswillen können die sich noch auf den Beinen halten. Und dann, im nächsten Moment, hauen sie Bälle raus, dass es dir schwindlig wird. Dieses Spiel war der pure Zauber.
In dieses Match passen zeitlich sieben Fußballspiele...
Verrückt, oder? Aber ich wundere mich ja immer über die Fußballspieler, die nach einem Match fünf Tage Pause brauchen. Und diese Burschen stehen ganz allein über elf Stunden auf diesem Platz, sind in jeder Sekunde ganz dicht an Sieg und Niederlage, müssen alles mit sich selbst ausmachen. Ich bin schon erstaunt, wieviel Respekt Fußballspieler oft bekommen.
Und was bleibt Ihnen am meisten in Erinnerung?
Zwei Helden auf dem Platz, zwei großartige Botschafter für diesen Sport. Ein Match, an das man sich immer erinnern wird. Die Fans, die es gesehen haben, können sagen: Ich bin dabei gewesen. Es wird zu den Allzeit-Klassikern im Tennis gehören.
Interview: Jörg Allmeroth
- Themen:
- Boris Becker
- Tennis