McEnroe über Roger Federer: "Er ist unheimlich"

Tennis-Legende John McEnroe (50) staunt über den Schweizer, der bei den French Open überraschend wieder zur alten Dominanz zurück gefunden hat.
AZ: Herr McEnroe, wer kann Roger Federer auf dem Weg zum ersten Grand Slam-Sieg in Paris noch stoppen?
JOHN MCENROE: Vermutlich am ehesten er sich selbst. Wenn ihm die Nerven einen bösen Streich spielen, dann könnte es noch schief gehen. Aber klar ist: Er hat die Sache nun selbst in der Hand, er ist der haushohe Favorit. Und das ist die Rolle, die er am meisten mag. Ein Turnier nach seinen eigenen Gesetzen zu beherrschen, es zu prägen.
In Rafael Nadals Schatten hat er sich in Roland Garros also nicht wohl gefühlt.
Wenn ich ihn selbst richtig verstehe, dann ist ihm immer am liebsten, der Alphawolf zu sein, der Dominator. Er liebt es, wenn die Gegner Respekt vor ihm haben, so wie in den vier, fünf Jahren, in denen er brutal alle auf Distanz hielt. Nadal hat ihn hier schon nervös gemacht, er war nicht in einer Wohlfühlzone.
Was würde ein Sieg Federers in Paris bedeuten?
Da muss man sich bloß die Geschichte des Tennis anschauen. Nur einer hat es in der Profizeit geschafft, in Melbourne, in Wimbledon, in New York und eben auch in Paris zu gewinnen – und das war Andre Agassi. Die French Open waren für viele Spieler das fehlende Puzzleteil, weil es immer diese Spezialisten gab, die sich so sehr auf dieses Turnier konzentrierten.
Sie selbst scheiterten 1984 nach einer 2:0-Satzführung noch an Ivan Lendl.
Das war eine der niederschmetterndsten Niederlagen meiner Karriere. Darüber rede ich nicht gern. Weil es immer noch weh tut.
Zurück zu Federer: Vor ein paar Wochen sprach alle Welt noch von einer Krise bei ihm, jetzt ist er auf dem Weg zum ersten Pariser Triumph.
Es ist schon ein erstaunliches Turnier, diese French Open 2009. Ich habe nicht mit solchen Überraschungen gerechnet, mit einem Söderling und einem Gonzalez im Halbfinale. Federer ist der einzige Ordnungsfaktor. Nadal und Djokovic schon nach einer Woche raus, das hat alle auf dem falschen Fuß erwischt.
Federers Dominanz war lange frappierend, war der kleine Rückschlag ab Mitte 2008 nicht auch normal?
Ganz sicher. Wie kannst du ewig diese Überlegenheit konservieren? Das wäre ja übermenschlich. Er hat unglaubliche Jahre hingezaubert, in denen er nur vier, fünf Spiele verloren hat - bestaunenswert. Und so hat er selbst einen Anspruch erzeugt, der nicht zu erfüllen war. Alle dachten nur noch, dass es jetzt locker so weitergehen werde mit ihm und den Triumphen. Aber man vergisst leicht, wie hart es ist, sich Tag für Tag mit der ganzen Meute auseinander zu setzen, die den großen Federer stürzen wollen. Er hat das aber kühl abgeblockt für eine kleine Ewigkeit. Federers Leistung ist mir unheimlich.
Mit Nadal steht Federer ein Konkurrent auf Augenhöhe gegenüber. Wie sehen Sie diesen Zweikampf?
Das ist eine Rivalität in der großen Tradition dieses Sports, so wie bei Borg gegen McEnroe, bei Sampras gegen Agassi, bei Becker gegen Edberg. Und es ist vielleicht sogar die größte, beeindruckendste Rivalität im gegenwärtigen Sport.
Interview: Jörg Allmeroth