Matthias Steiner: Seine Geheimnisse
Krankheit, Liebe – und Trauer: Woraus der Olympiasieger und Sportler des Jahres seine enorme Kraft zieht.
BADEN-BADEN Genau ein Jahr ist es her, da schaute Matthias Steiner die Gala aus Baden-Baden im Fernsehen. Er sah, wie Fabian Hambüchen zum Sportler des Jahres geehrt wurde, aber wirklich viel bedeutete ihm das nicht. Steiner hatte den Tod seiner Frau zu verarbeiten, und außerdem war er auch immer noch österreichischer Staatsbürger, denn den deutschen Pass bekam er erst am 2. Januar. Ganz am Anfang 2008, ein Jahr, das sein Jahr werden sollte.
Der Gold-Triumph von Peking, als der Gewichtheber Olympiasieger wurde und das Bild seiner toten Frau zeigte, war der wohl emotionalste Moment des Sportjahres, als er weinte und der starke Mann ganz schwach war.
Ganz oben, nach einem Leben voller Widrigkeiten. Wie es der heute 26-Jährige schaffte, immer wieder Rückschläge zu überwinden, und woraus er seine Kraft bezog.
Die Heimat:
Aufgewachsen in Obersulz, einem kleinen Nest im Weinviertel in Niederösterreich. Auch der Papa war Gewichtheber. Und er ist es immer noch. Mit 69 ist Fritz Steiner 20-maliger Weltmeister bei den Senioren. Am Dienstag kehrt Steiner zu Weihnachten nach Hause zurück, zu seinen Eltern.
Die Nervenstärke:
Eigentlich dachte der Vater, dass aus dem Buben ein Fußballer wird. Beim SV Sulz spielte Matthias Verteidiger, bei den C-Junioren verwandelte er im entscheidenden Spiel um die Meisterschaft in der letzten Minute den Elfmeter zum Siegtor. „Da wäre ich nicht im Traum draufgekommen, dass er Gewichtheber wird“, meinte Vater Fritz in der „WamS“.
Die Krankheit:
Als Steiner 18 war, diagnostizierte ihm sein Wiener Arzt Diabetes. Da hatte er bereits an einer Junioren-EM teilgenommen, die Karriere als Gewichtheber fortzusetzen, schien aber unmöglich. Der Arzt meinte, als Diabetiker hätte er im Kraftsport in der Weltspitze keine Chance. „Dann werde ich das ändern“, sagte Steiner damals. Er behielt Recht.
Die Österreicher:
Die wollten ihn nicht mehr. 2005 überwarf sich Steiner mit dem Verband, weil er seinen ägyptischen Privattrainer Maged Salama nicht zur EM mitnehmen durfte, beim ersten Gewicht gleich drei Fehlversuche hinlegte und ausschied. Die Funktionäre warfen ihm danach vor, die Hantel absichtlich hingeworfen zu haben. Steiner beschloss, wegzugehen aus Österreich. Wohin, wusste er nicht. Bis Susann kam.
Die Liebe:
In Zwickau schaute eine junge Frau einmal zufällig Gewichtheben. Sie sah Matthias Steiner, fand Interesse an ihm und schrieb ihm eine E-Mail. Mit dem Zug fuhr sie elf Stunden nach Obersulz, danach war es um Steiner geschehen. Auch sein Vater erinnert sich an die erste Begegnung: „Als sie zur Tür reinkam, ging die Sonne auf.“ Steiner junior zog zu ihr nach Sachsen, beantragte die Einbürgerung.
Die Trauer:
Nach dem Unfalltod seiner Frau im Juli 2007 dachte Steiner ans Aufhören, doch dann wollte er umso mehr nach Peking, weil er da auch mit seiner Susann hingewollt hatte.
Von der Vergangenheit eingeholt wurde Steiner jetzt im Dezember beim Prozess gegen den Unfallfahrer, der zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Damit will Steiner die öffentliche Trauerarbeit beenden. „Ich möchte nicht mehr darüber reden“, sagt er, „damit muss jetzt Schluss sein.“
Für sich allein wird er die Trauer weiter verarbeiten. Und weiter daraus Kraft ziehen. igl