Mats Wilander: "Die Welt ist zu klein für drei populäre Top-Spieler"
Der 57-jährige Schwede Mats Wilander war 20 Wochen die Nummer 1 der Tennis-Weltrangliste, er gewann in seiner Karriere 33 Turniere, darunter sieben Grand Slams. Er arbeitet jetzt als Experte beim TV-Sender Eurosport.
AZ: Herr Wilander, was sagen Sie als ehemalige Nummer 1 der Tenniswelt: Gab es schon mal einen unpopuläreren Weltranglistenersten als Novak Djokovic?
MATS WILANDER: Ho, ho, ho! Immer schön langsam. Ich glaube überhaupt nicht, dass er unpopulär ist. Wenn Sie schreiben, er sei unpopulär, versuchen wir eine Situation zu schaffen, weil wir wollen, dass jemand unpopulär ist. Es sind viele Dinge um ihn herum passiert, die nicht vielen Champions so passiert sind. Es hat viel mit diesem Satz zu tun: ‚Rafael Nadal und Roger Federer sind die populärsten Tennisspieler aller Zeiten!' Viele Träume von Fans und Journalisten sind durch Djokovic zerstört worden - weil er sich zwischen die beiden gequetscht hat, etwa nach dem Motto: ‚Hey Novak, das kannst du nicht machen! Ich will doch diesen Kontrast der Stile zwischen Nadal und Federer sehen!' Die Welt ist im Grunde nicht groß genug für drei populäre Top-Spieler - deshalb bekommt Novak das Label "unpopulär".
"Ich glaube, Zverev wird in diesem Jahr ein Grand Slam gewinnen"
Aber ist er das durch sein Handeln wie nun bei der geplanten Einreise nach Australien denn nicht? Stellt er sich dadurch nicht über alle anderen?
Ich denke, er ist ein Kämpfer. Aber klar ist: Ich stelle mich nicht in die Schlange zur Einreise, wenn meine Papiere nicht in Ordnung sind. Ganz offensichtlich hätte er das nicht getan, wenn er gewusst hätte, dass er ein Risiko eingeht, wenn er nicht zu hundert Prozent sicher gewesen wäre. Wo genau was schief gelaufen ist, weiß ich nicht. Viele machen jetzt ihre Späße darüber. Aber dass er jetzt in diesem Quarantäne-Hotel bleibt und vier, fünf, sechs oder sieben Tage lang mit den Gerichten Australiens um seine Einreise kämpft, das macht ihn populär! Weil er alles dafür tut, um die Australian Open spielen zu können. Wenn er nach Hause fliegen würde, könnte man sagen: ‚Er gibt Australien die Schuld.' Dann könnten wir sagen: ‚Novak, was zur Hölle tust du?' Das macht er aber nicht. Er bleibt und kämpft. Er glaubt, dass er ein Recht hat einzureisen.

Zum Sport: Wie hat sich Alexander Zverev im vergangenen Jahr entwickelt?
Sehr gut! Sehr natürlich. Man könnte etwas überrascht sein, dass er noch keinen Grand Slam gewonnen hat. Er hätte die US Open gewinnen müssen. Aber er hat ziemlich gute Grand-Slam-Ergebnisse. Allmählich hat er herausgefunden, wie man Fünf-Satz-Matches spielt. Er muss noch besser den Fakt akzeptieren, dass man im Tennis nie weiß, ob man gewinnt oder verliert. Mit diesem Wissen muss man in jedes Match gehen: Egal, wie gut ich spiele - ich kann das Match verlieren. Lange Zeit dachte er bei den Grand Slams: ‚Oh, ich spiele gar nicht so gut, wie ich gehofft hatte' - und ändert seine Taktik, was dem Gegner die Tür zum Sieg öffnet. Große Champions wie Nadal, Roger und Novak machen das nicht. Sie sind immer noch sehr aggressiv in ihrem Spiel, in ihrer Art. Sascha muss sich entscheiden: ‚Das ist meine Art zu spielen: aggressiv.' Neun von zehn Mal wird das funktionieren, aber eben nicht zu hundert Prozent - und es muss für ihn okay sein zu verlieren, selbst wenn er großartig spielt. Ich glaube, er wird in diesem Jahr ein Grand Slam gewinnen.
Wer wird den Grand-Slam-Titel in Australien gewinnen? Wer sind Ihre Favoriten?
Zverev ist einer von ihnen. Daniil Medwedew ist einer von ihnen und Félix Auger-Aliassime. Die drei haben die größten Chancen auf den Sieg, wobei ich Félix nicht auf dasselbe Niveau wie Sascha und Daniil setze. Bei Félix ist es so: Eines Tages wird er aufwachen und realisieren: ‚Oh mein Gott, ich bin ja tatsächlich physisch einer der besten Spieler der Welt, und ich muss nur an mich selbst glauben!' Er ist so schnell, so stark. Im Tennis kannst du nicht perfekt sein, niemand ist das. Sobald er das verstanden hat, wird er Grand Slams gewinnen. Das Gleiche gilt für Zverev.
Roger Federer spielt zwar nicht in Melbourne, ist aber trotzdem immer präsent. Werden wir ihn noch mal auf der Tour erleben?
Wenn ich irgendjemanden um Erlaubnis bitten könnte, Roger noch mal spielen zu sehen, würde ich das tun. Ich würde es lieben, ihn noch mal ein paar Turniere spielen zu sehen. Was ich auch sehen möchte: einen angemessenen Abschied. Aber wie auch immer: Federer verdient, dass wir sein Vermächtnis zelebrieren. Nicht weil er 20 Grand Slams gewonnen hat, sondern weil er Tennis in Sachen Popularität auf ein anderes Level gehoben hat, wie kein anderer Mensch zuvor. Klar, es gibt Rafael und Novak, aber was die Popularität angeht, ist das kein Vergleich. Björn Borg hat das in seiner Zeit bis zu einem gewissen Maß auch geschafft - und das sage ich nicht, weil ich auch Schwede bin. Dafür sollten wir Roger feiern!