Maske: "Wir brauchen mehr Schmelings"

Ex-Weltmeister Henry Maske, der momentan den legendären Schwergewichtler in einem Film spielt, über den Geist des Boxens – und warum der Kampf Klitschko gegen Chagaev ein Duell der Köpfe wird.
AZ: Herr Maske, am Samstag wird Wladimir Klitschko im Ring etwas erleben, was er schon lange nicht mehr erfahren musste. Mit Ruslan Chagaev steht ihm ein Gegner gegenüber, der nicht schon Angst hat, sobald er Klitschko nur gegenübertritt.
HENRY MASKE: Unbedingt! Ruslan ist ein Kämpfer, der nicht überleben, sondern wirklich gewinnen will. Er ist ein sehr kluger Kopf und darin besteht auch die große Gefahr für Wladimir. Ruslan weiß, wo seine Stärken, aber auch seine Schwächen sind. Bei Chagaev merkt man die gute alte russische Box-Schule, die er genossen hat. Da ist viel Verstand, viel Strategie dahinter. Das ist anders als bei vielen amerikanischen Schwergewichtler, sie sehen den Erfolg fast ausschließlich in der physischen Auseinandersetzung und setzen die geistigen Voraussetzungen nur wenig ein.
Das hat man bei vielen von Wladimirs letzten Gegnern, etwa Hasim Rahman oder Ray Austin, sehr deutlich gesehen.
Maske: "US-Boxer betrachten die geistige Auseinandersetzung als minderwertig"
Ja, viele US-Schwergewichte stufen die Wertigkeit, die Wichtigkeit der strategischen Box-Führung eher als minderwertig ein. Aber hier, bei Klitschko gegen Chagaev, findet die Auseinandersetzung auf ganz anderen Ebenen statt. Ebenen, die eben weit über die körperliche Konfrontation hinausgeht. Bei diesem Kampf ist die Spannung sehr viel vielschichtiger. Dadurch hat Wladimir jetzt die Chance, Seiten an sich zu zeigen, die man ihm in den letzten Kämpfen vielleicht nicht so abverlangt hat.
Es wird also ein echtes Duell der Köpfe?
Unbedingt.
Es gibt ja immer wieder Kritiker, die Wladimir das Kämpferherz absprechen. Aber so kurzfristig einen so starken Gegner als Ersatz zu akzeptieren, beweist sein Herz.
Wladimir geht definitiv das größere Risiko ein, keine Frage. Aber das ist er auch gewöhnt, schließlich ist der Mann im Schwergewicht, den es zu schlagen gibt . Von ihm wird in jedem Kampf erwartet, dass er gewinnt, am liebsten auch noch in überzeugender Manier. Und wenn er verlieren sollte, dann wird ihn das die Öffentlichkeit auch dementsprechend spüren lassen.
Das kennt er schon. Nach seinen Niederlagen gegen Corrie Sanders und Lamon Brewster war er nur „Dr. Weichei“.
Maske: "Erst seine Niederlagen machten Wladimir zu einem kompletten Boxer"
Wladimir hat sich in den letzten Jahren sehr entwickelt. Diese Niederlagen haben ihn erst zu einem kompletten Boxer gemacht. Nichts ist lehrreicher als eine Niederlage. Leider erfährt man erst dadurch – im wahrsten Sinne des Wortes – am eigenen Leibe, welche Schwächen man wirklich hat. Wladimir hat gelernt, nicht nur auf die physische einzusetzende Chance zu warten, sondern man merkt nun auch, wie er sich im Ring Gedanken macht, wie er dort hin kommt, wie er die Chance selber kreiert.
Wer gewinnt?
Ich denke, dass unterm Strich Wladimir mit seinen gesammelten Erfahrungen die Oberhand behalten wird. Ich hoffe, dass es ein spannender Kampf ist, denn Wladimir wirkt für mich oft in den ersten Runden etwas unsicher. Im Verlauf des Kampfes wird er spürbar stabiler. Aber ich denke schlussendlich wird er erfolgreich sein.
Klitschko-Trainer Emanuel Steward sagt selber, dass Wladimir in seiner Karriere noch die großen Kämpfe gegen die großen Gegner fehlen, um sich wirklich einen Platz in der Box-Geschichte zu sichern. ist dieser Fight gegen Chagaev, den Weltmeister der WBA, ein solcher Kampf?
Die Umstände sind leider schwierig. Man muss der ganzen Sache ja entgegen halten, dass Chagaev nur eingesprungen ist, wobei ich damit Chagaev aber nicht als „Einspringer“ diskreditieren will, denn er hat ja in der Vergangenheit nachgewiesen, dass er ein sehr Guter ist. Aber die ganze Promotion war auf einem anderen Kampf, auf einen anderen Gegner, auf David Haye, aufgebaut. Die kurzfristige Absage und alles, das ist sehr unglücklich für alle Beteiligten. Sportlich ist der Kampf gegen Chagaev aber sicher schwieriger als gegen Haye.
Sie denken, dass man es nicht geschafft hätte, 60.000 Fans in die Arena auf Schalke zu locken, wenn der Gegner von Anfang an Chagaev geheißen hätte, wenn es nicht die ganzen Provokationen von Haye mit seinen geschmacklosen T-Shirts im Vorfeld gegeben hätte?
Davon bin ich überzeugt. Man darf sich ja nichts vormachen, die Aktionen von Haye, waren eine Menge PR. Wie sehr das noch mit Realität zu tun hatte, lassen wir lieber außen vor.
Die Klitschkos, Sie, Max Schmeling, den Sie gerade in einer Verfilmung porträtieren, stehen für eine andere Art Boxer. Dafür, dass man nicht ein Tier im Ring sein muss, also, eine Art Gegenentwurf zu Mike Tyson.
Ich denke, wenn man in Frühphase des Boxens schaut.
Maske: "Das Mentale ist das Faszinosum des Boxens"
So wie sie der Marques von Queensberry in seinem Regelwerk entwickelt hat.
Genau, wenn man sich das in Gedächtnis ruft, dann war der Ursprung dieses Sports wirklich die feine Klinge, da wurde der Sport eben über diese geistige Auseinandersetzung im Ring definiert. Das hat sich in der Geschichte dann verwoben, es haben sich auch andere Boxer herauskristallisiert, deren Qualitäten anders gelagert waren, die aber das Bild in der Öffentlichkeit maßgebend mitgeprägt haben. Trotzdem, wenn man die Historie genau durchleuchtet, haben sich die Boxer, die sich auch geistig forderten, die nicht nur physisch waren, am Ende fast immer durchgesetzt. Auch ich muss sagen: Die körperliche Fähigkeit, die Physis für den Kampf mitzubringen, das war für mich stets nur die Grundlage, aber nie Selbstzweck. Nur, wenn man das hat, kann man das wirklich Einzigartige des Boxens, nämlich das Geistige, das Mentale, die Strategie erreichen. Das war immer das wirkliche Faszinosum des Boxens.
Sie waren ein guter Freund von Schmeling, jetzt porträtieren Sie ihn im Film. Wieviel näher sind Sie denn durch diese intensive Besch äftigung dem Menschen Max Schmeling gekommen?
Maske: "Schmeling steht für Werte wie Treue und Freundschaft, Toleranz und Ehrlichkeit"
Ich muss gestehen, es ärgert mich und macht mich traurig, dass ich mich nicht schon viel früher derart intensiv mit ihm beschäftigt habe. Denn durch die Beschäftigung haben sich viele Fragen aufgetan, die ich aus heutiger Sicht ihm gerne noch gestellt hätte. Schmeling ist jetzt für mich ein noch sehr viele kompaktere, komplexere Person geworden. Er war ein Mensch, der immer menschlich reagiert hat. Dem sein Umfeld sehr wichtig war. Der sicher nicht der große Freiheitskämpfer war, der jedoch punktuell in Situationen nicht an sich dachte, sondern dann schnell handelte, um anderen zu helfen. Er war stets human, war bedacht, konsequent, kooperativ und tolerant war. Er steht für Werte wie Treue und Freundschaft, Toleranz und Ehrlichkeit.
Werte, die in unserer Welt immer mehr in Vergessenheit geraten, einer Welt, die fast am eigenen bedingungslosen Profitstreben kaputt gegangen wäre. Würde mehr Schmeling dieser Welt gut tun?
Was Schmeling in meinen Augen immer auszeichnete, war, dass ihm zwar klar war, wie wichtig Geld ist, dass er dieses Ziel, dieses Profitstreben aber nie um jeden Preis verfolgt hat, nie dafür alles in Kauf nahm. Er hat dieses Ziel nie mit Tritten gegenüber anderen verfolgt. Er war nicht nur im Ring fair, sondern erst Recht im Leben. Er war ein Mensch, der immer menschlich reagiert hat und dabei auch nicht groß über mögliche Folgen nachgedacht hat, weil er wusste, dass er das Richtige tut. Deswegen: Etwas mehr Schmeling täte der Welt sicher gut.
Interview: Matthias Kerber