Martina Ertl-Renz: "Ich wusste, dass Kira Weidle das Zeug dazu hat"

AZ: Frau Ertl-Renz, die Ski-WM von Cortina d'Ampezzo ist Geschichte. Wie haben Sie die Wettkämpfe aus deutscher Sicht erlebt?
MARTINA ERTL-RENZ: Die erste Woche mit den drei Silbermedaillen für den DSV war natürlich der Wahnsinn, sensationelle Leistungen! Das war mehr als wir uns erhoffen konnten. Genau zur richtigen Zeit die Saisonbestleistung abrufen, gerade im Speed-Bereich, wo wir lange nicht so stark waren in den letzten Jahren. Und es waren Medaillengewinner, mit denen man nicht so gerechnet hatte. Von Thomas Dreßen wusste man, dass der schon Kitzbühel gewonnen hat, aber jetzt haben halt mal die Anderen zugeschlagen - und es sich wirklich verdient.
Martina Ertl-Renz über die Leistung von Kira Weidle
Kira Weidle war wohl mit die größte Überraschung.
Für sie hat es mich wahnsinnig gefreut. Wir haben ab und zu miteinander gesprochen, daher wusste ich, dass sie eine super Vorbereitung und total konsequent trainiert hatte - und dass sie das Zeug dazu hat. Umso schöner ist es, wenn man die mentale Stärke hat, bei einem Großereignis zu sagen: 'Mir liegt Cortina!', alles andere auszublenden und dann die Leistung zu bringen. Ich hab' auch immer dem Maier Wolfi (DSV-Alpindirektor, d. Red.), dem Graller Jürgen (Damen-Bundestrainer) und dem Fürbeck Andi (Damen-Abfahrtstrainer) SMS geschrieben und mich wirklich für die gefreut - weil ich weiß, was da alles investiert wird.

"Favoriten haben einen Mini-Selbstzweifel - und schon ist man ausgeschieden"
Apropos mentale Stärke: Wie sind Sie früher mit dem Druck umgegangen, gerade in den technischen Disziplinen, wo einem die zwei Durchgänge viel Gelegenheit zum Grübeln geben? Wie sehr rattert es da im Oberstübchen? Und wie bekommt man das in den Griff?
Bei mir war es so: Wenn die Form gestimmt hat, ich das Gefühl hatte, dass es funktioniert und ich gut drauf war, dann konnte ich das alles ausblenden, mich auf mich selber fokussieren, weil ich um meine eigene Stärke wusste. Komischerweise hatte ich das immer im Gefühl, ob ich von einer Großveranstaltung mit einer Medaille heimfahren kann oder nicht. Da war innerlich schon eine gewisse Selbstsicherheit oder Unsicherheit da.
2001 wollte ich trotz Verletzung unbedingt die WM in St. Anton fahren, hatte nur zwei, drei Trainings, aber ich war irgendwie so ruhig in mir, dass es dann mega geklappt hat (Gold in der Kombination, d. Red.). Und wenn ich nicht so in Form war, habe ich das innerlich schon gespürt, dass das zäh wird. Da macht man sich dann unnötige Gedanken und Druck. Favoriten fangen ein bisschen zu denken an, haben einen Mini-Selbstzweifel - und schon ist man ausgeschieden. Das Gegenteil hat man jetzt bei der Katharina Liensberger gesehen: unglaublich, wie die über sich hinausgewachsen ist! Die ist besser als je zuvor gefahren, hat einfach alles richtig gemacht, eine bessere Linie wie eine Mikaela Shiffrin gefunden. Da hat man gesehen, wie wichtig der Kopf ist. So viele Doppel-Weltmeister wie heuer gab es eh noch nie. Der Druck ist weg, ich bin aber noch im Fokus und schaffe das dann ein zweites Mal, auch bei schwierigen Verhältnissen.
Im Riesenslalom gab es bei der WM große Unterschiede
Die gab es in der Tat, gerade für die Techniker: oben eisig, unten sulzig.
Und so viele Übergänge! Da wurde der minimalste Fehler bestraft. Und wenn dann die Materialabstimmung auch nicht passt, hat man keine Chance. Und das weißt du als Athlet! Wenn die Abstimmung auf so einer Eispiste nicht tausendprozentig passt, dann geht das nicht, da musst du gar nicht selbst schuld sein. Selten hat man so deutlich die fahrerischen Unterschiede gesehen und gewusst, wo die Zeitabstände herkamen.

Gerade im Riesenslalom, Ihrer Paradedisziplin, gab es gewaltige Unterschiede.
Da habe ich bei der Nina O'Brien total gelitten, obwohl ich die gar nicht kenne. Kurz vorm Ziel so ein Fehler, nach so einer tollen Fahrt! Und natürlich der Alex Schmid: Der ist im ersten Lauf wahnsinnig gut gefahren, total mutig bei diesen Verhältnissen, aggressiv, angriffslustig - und er hätte um den Sieg mitfahren können. Er hat nichts falsch gemacht - bis auf den einen minikleinen Fehler. Da hat glaube ich das ganze Volk mitgelitten.
Linus Straßer: "Ich weiß nicht, ob er sich tausendprozentig fit gefühlt hat"
Linus Straßer wirkte dagegen am Ende im Slalom eher blockiert.
Wenn man seine Kurve anschaut, ist die in den letzten Rennen eher nach unten gegangen. Ich weiß nicht, ob er sich tausendprozentig fit gefühlt hat. Wenn da nur ein paar Zweifel sind und du eine so schwere Piste hast, dann geht das ganz schnell. Das hat man bei vielen gesehen: Mario Matt oder Manuel Feller waren auch nicht schneller, und die haben heuer auch schon Siege und eine gute Form gehabt. Es muss halt immer alles zusammenpassen, und beim Linus war einfach nicht alles rund bei den letzten Rennen. Andererseits: Bei der Kira lief es vorab auch nicht gut. Einmal geht's halt gut und einmal nicht so gut aus.
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