Martin Schmitt über Severin Freund: "Sport ist einfach sein Leben"

AZ: Herr Schmitt, wie überrascht waren Sie, als Ihr ehemaliger Mannschaftskamerad Severin Freund jetzt zum Saisonschluss verkündete, dass er seine Skisprung-Karriere beendet?
MARTIN SCHMITT: Ich hatte natürlich gehofft, dass er noch weitermacht, weil er nach wie vor ein toller Skispringer mit einem fantastischen Gefühl für die Sportart ist, weil man auch gesehen hat, wie er sich wieder herangekämpft hat. Und, dass da gar nicht so viel bis ganz nach vorne gefehlt hat. Trotzdem glaube ich, dass er sehr zufrieden ist. Er war bis zum Schluss wichtiger Bestandteil der Mannschaft, konnte noch Erfolge feiern und beendet seine Karriere mit dem guten Gefühl, absolut konkurrenzfähig zu sein. Aber wie er schon gesagt hat: Die Motivation und die Ziele für die nächsten Jahre waren einfach so, dass er sich nicht noch mal zu allem aufraffen konnte. Das zeigt, dass er tief im Inneren das Gefühl hat, dass es eben sehr schwer wird, noch mal den ganz großen Schritt zu machen. Das kann er auch am besten einschätzen. Er ist da sehr analytisch. Und man muss ja auch immer seine Verletzungshistorie im Blick haben. . .
"Seine Auftritte bei WM und Weltcup konnten sich sehen lassen"
Hüfte, Meniskus, zwei Kreuzbandrisse, Rückenprobleme: Fast vier Jahre haben ihn all die Verletzungen gekostet. Da hätte man ein Karriereende direkt verstanden. Aber so war wohl das Ziel: zurückkommen! Jetzt ist er zurück, aber das konkrete Ziel fehlt.
Er hat ja tagtäglich im Training den Vergleich zum Beispiel zu Karl Geiger - und merkt da, wie viel zusammen passen muss, damit er überhaupt an ihn ran kommt. Er wird gespürt haben, dass das nicht mehr so leicht gelingt. Aber die Auftritte bei der WM und Weltcup konnten sich ja wirklich sehen lassen.

Einige Jahre waren Sie noch zusammen im Weltcup und bei Weltmeisterschaften unterwegs. Gibt es den ein oder anderen Wettkampf, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
2011 haben wir in Oslo auf der kleinen Schanze eine Medaille im Team gewonnen. Wir lagen auch auf der großen Schanze gut im Rennen, aber dann wurde wegen des Windes nach dem ersten Durchgang abgebrochen. Ich habe gesehen, wie der Severin als jüngerer Springer reingekommen ist und wie er sich Schritt für Schritt nach oben gekämpft hat, wie analytisch er vorgegangen ist, und wie er sich als Springer wahnsinnig entwickelt hat. Das war nicht so vorhersehbar, als er als junger Springer zu uns kam.
"Severin hat ein ganz neues Niveau erreicht"
Also keiner dieser Über-Flieger?
Gerade flugtechnisch hat er eine brutale Kontrolle und Sicherheit bekommen. Früher hieß es zum Thema Fluggefühl immer: "Entweder man hat's, oder man hat's nicht." Severin hat dagegen gezeigt, dass das ein erlernbares Technikelement ist. Dadurch hat er ein ganz neues Niveau erreicht.
Skispringer sind immer Mannschaftskollegen - und zugleich Konkurrenten. Was für eine Dynamik hat Freund damals in die Gruppe reingebracht?
2011 war er noch auf dem Weg nach oben, und wir als Team hatten noch nicht so die breite Brust wie zum Beispiel die Österreicher, waren eher so die Underdogs - so was schweißt schon zusammen. Wir hatten eine schöne Jung/Alt-Mischung, und in der Phase hat Severin schon die Rolle des Führungsspringers übernommen und war da mit seiner akribischen Vorbereitung für alle Vorbild, auch für uns Ältere dann wieder.

"An der Weltspitze setzen sich häufig etwas ruhigere, besondere Typen durch"
Wie laufen diese langen Winterabende ab? Wird da Karten gespielt - oder macht da jeder sein eigenes Ding?
Die Bayern haben immer zusammen Schafkopf gespielt. Konnte ich nicht, ich war raus. Davor gab es auch mal so eine Poker-Phase, aber die starke bayerische Fraktion hat wieder das Schafkopfen reingebracht. Manchmal ist es aber auch nur Einfach-den-Abend-ausklingen-lassen - ohne viel Aktion.
Freund wirkte ja oft wie ein Gemütsmensch, den so schnell nichts aus der Fassung bringen kann. Stimmt dieser Eindruck?
Gerade im Skispringen ist das öfter zu beobachten, dass sich in der Weltspitze etwas ruhigere, ein bisschen besondere Typen durchsetzen können. Karl Geiger geht ja auch in eine ähnliche Richtung. Kamil Stoch oder Adam Malysz wirken zum Beispiel auch nicht wahnsinnig extrovertiert. . .
. . .anders als der Kollege Markus Eisenbichler.
Severin ist grundsätzlich sehr analytisch, hat aber eine Ruhe und innere Sicherheit - eine Stärke, die er ausstrahlt.
"Ich kann mir vorstellen, dass er wieder irgendwo im Sport auftaucht"
Wissen Sie, wohin ihn sein Weg künftig führen wird?
Wir haben seitdem noch nicht miteinander darüber gesprochen. Aber es wäre natürlich schön, wenn er dem Sport in irgendeiner Form erhalten bleibt. Er wird sich sicher erst mal Zeit nehmen und den ein oder anderen Bereich reinschauen. Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass er weiter irgendwo im Sport auftaucht, weil der Sport einfach sein Leben ist.
Als Skisprung-Experte im Fernsehen könnte es eng werden - da sind alle Plätze schon vergeben. . .
Aber da gibt's auch immer Veränderungen.