Martin Heuberger im AZ-Interview: „Ein Wintermärchen“

Die Handballer stehen bei der EM im Halbfinale. Hier erklärt Ex-Bundestrainer Heuberger, warum das Team so gut funktioniert, was Sigurdsson richtig macht und wie die Chancen gegen Norwegen stehen.
von  Interview: Maximilian Koch
Ehemaliger Bundestrainer der deutschen Handballer: Martin Heuberg
Ehemaliger Bundestrainer der deutschen Handballer: Martin Heuberg © dpa

Die Handballer stehen bei der EM im Halbfinale. Hier erklärt Ex-Bundestrainer Martin Heuberger, warum das Team so gut funktioniert, was Sigurdsson richtig macht und wie die Chancen gegen Norwegen stehen.

Der 51-jährige Ex-Handballer trainierte als Nachfolger von Heiner Brand die Nationalmannschaft von 2011 bis 2014.

AZ: Herr Heuberger, mal ganz ehrlich: Die letzten Minuten gegen Dänemark konnten Sie doch auch nicht mehr sitzend ansehen, oder?

Martin Heuberger: Nein, ich stand oft und habe richtig mitgefiebert. Das war eine phänomenale Leistung der deutschen Mannschaft.

Dänemark war der Top-Favorit. Außerdem sind kurzfristig die Stützen Steffen Weinhold und Christian Dissinger ausgefallen. Wie hat es Deutschland geschafft, dieses Spiel trotzdem zu gewinnen?

Die Jungs sind einfach sehr selbstbewusst im Moment. Beispielhaft hat Steffen Fäth wieder sehr viel Verantwortung übernommen, aus dem Nichts Tore gemacht, er war sehr prägend. Dann spielt Tobias Reichmann die ganze EM schon sehr souverän, insbesondere zeigt sich dies bei seinen souverän verwandelten Siebenmetern. Und im Tor hat Andi Wolff wieder eine grundsolide Leistung gezeigt.

Die beiden Nachnominierten, Kai Häfner und Julius Kühn, haben sofort funktioniert.

Kai Häfner ist nicht umsonst der beste Feldtorschütze der Bundesliga-Hinrunde gewesen. Er hat gleich Impulse gesetzt, das hat mir besonders gefallen, was aber so nicht unbedingt zu erwarten war. Dass Häfner und Kühn sich ohne Probleme in das Team einfinden, zeigt den großen Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft, dass jeder für jeden bereit ist und man sich gegenseitig unterstützt. Die „deutschen Tugenden“ – der unbändige Siegeswille, den man ja auch aus dem Fußball kennt, dieser Zusammenhalt und die mentale Stärke – sind momentan entscheidend. Im Nachhinein muss man sagen, dass die Verletzungen von Weinhold und Dissinger sogar von Vorteil waren. Denn dadurch waren die Dänen noch mehr unter Druck.

Nach dem Spiel hat Stefan Kretzschmar spontan eine Kiste Bier spendiert. Die hatte sich die Mannschaft auch verdient, oder?

Ja, natürlich. Aber ich weiß, dass die Jungs vernünftig sind. Sie haben jetzt noch ein großes Ziel, deshalb werden die Feierlichkeiten im Rahmen geblieben sein.

Mental scheint die Mannschaft unglaublich stark. Welchen Anteil daran hat Bundestrainer Dagur Sigurdsson?

Dagur schafft es, der Mannschaft zu vermitteln, dass sie an ihre Stärken glauben, und über die Siege und guten Spiele haben sie nun das nötige Selbstvertrauen.

Wie macht man das? Sie waren selbst Bundestrainer.

Er wird mit den Spielern viel sprechen, dabei ihre Stärken hervorheben und vermitteln, dass er von ihnen überzeugt ist. Und nun spürt die Mannschaft das Vertrauen und es zeigt sich, dass sie sehr viel Qualität hat, aber auch die Mentalität, um Großes zu erreichen.

Wenn man bedenkt, dass Spieler wie Uwe Gensheimer oder Patrick Groetzki verletzungsbedingt gar nicht dabei waren: Ist Deutschland nun schon wieder Weltspitze?

Zweifelsohne steckt sehr viel Potenzial im deutschen Kader. Trotzdem muss man aufpassen, die Jungs müssen für den Erfolg immer hart arbeiten. Mit dem kompletten Kader wäre die Erwartungshaltung eine andere gewesen. Jetzt aber haben viele junge Spieler nichts zu verlieren. Und auch die Gegner hätten Deutschland nochmal anders wahrgenommen, wenn alle Topspieler fit gewesen wären. Insofern war die Ausgangslage gut für das deutsche Team, aber man muss es dann eben auch erstmal so gut umsetzen.

Zeigt die EM auch, dass im Nachwuchs hervorragend gearbeitet wird und dass die Vereine der Bundesliga vermehrt auf junge deutsche Spieler setzen?

Das ist mit Sicherheit ein großes Plus, dass es mittlerweile wieder einen starken Nachwuchs gibt. Man sieht, dass man in der Breite so gut aufgestellt ist, dass man auch Verletzungen auffangen kann. Durch die Jugend-Zertifizierung sind in der Bundesliga viele Nachwuchsleistungszentren entstanden, wo qualifiziert und leistungsorientiert gearbeitet wird. Dazu hat der DHB für Nachwuchsspieler ein Stützpunktkonzept vor Jahren aufgestellt und die Eliteförderung eingeführt. All das sind Mosaiksteine einer verbesserten Nachwuchsförderung, deren Früchte man nun schon ernten kann.

Heute kommt im Halbfinale Norwegen (18.30 Uhr, ZDF). Wer ist Favorit?

Das ist völlig offen. Unsere Mannschaft ist natürlich auf einer richtig hohen Erfolgswelle, die psychische Stabilität ist der große Vorteil. Aber auch bei Norwegen war es nicht unbedingt zu erwarten, dass sie so durchs Turnier ziehen und Top-Favorit Frankreich rauswerfen.

Gewinnt Deutschland die EM?

Ich traue der Mannschaft den ganz großen Wurf zu. So wie das Turnier bisher gelaufen ist, ist das deutsche Team eigentlich prädestiniert, ein neues Wintermärchen zu schreiben. Das wäre eine einmalige Erfolgsgeschichte.

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