Markus Wasmeier im AZ-Interview über den Mythos Streif

München - AZ-Interview mit Markus Wasmeier: Der gebürtige Schlierseer (57) ist zweifacher Olympia-Sieger sowie Weltmeister und Weltcup-Sieger im Super G.
AZ: Herr Wasmeier, die Speed-Rennen auf der Streif finden am Wochenende ohne Zuschauer statt. Wie haben Sie damals den Rummel erlebt? War's cool oder eher nervig?
MARKUS WASMEIER: Ich war immer froh, wenn nach Kitzbühel Wengen dran war - weil da einfach mehr Ruhe war. Es heißt ja immer, dass die Zuschauer die Athleten anfeuern. Ganz ehrlich: Im Trainingslauf schaut kein Mensch zu, und da muss man auch schon alles riskieren. Natürlich ist es schön, wenn gejubelt wird, aber das Wichtigste ist doch, was auf der Anzeigetafel steht. Das gibt dir die Bestätigung, dass du es geschafft hast - oder eben nicht. Zuschauer sind das Zubrot. Für manche Athleten ist es sogar eine Erlösung, dass sie sich auf den Wettkampf so vorbereiten können als sei es ein Training. Der eine braucht das zum Pushen, dem anderen ist das zu viel Druck vom Zuschauer.
Wasmeier über die Streif: "Am Anfang ist man froh, wenn man unten ist"
Haben Sie an die Streif gute Erinnerungen?
Mir ging es wie vielen anderen auch: Am Anfang ist man froh, wenn man unten ist. Beim Blick auf die Zeit denkt man dann: ‚Mensch, warum bin ich nicht schneller gefahren?' Ich habe die Streif mit allen möglichen Gefühlen erlebt: von Angst bis Vollgas geben, je nachdem mit welchem Selbstbewusstsein du in die Strecke gehst. Es war leider nie meine Strecke. Ich war oben und unten immer unter den besten Drei, aber im Mittelteil war ich mit meinen 71 Kilo im Hintertreffen.
71 Kilo bei 1,81m Körpergröße?
Mein höchstes Kampfgewicht war 76 Kilo. Die Erdanziehung ist halt bei größerem Gewicht schneller. Dafür bin ich in Wengen aus dem Kernen-S immer fünf, sechs km/h schneller rausgekommen. Und auf blankem Eis konnte ich das fehlende Gewicht kompensieren.
Was ist den DSV-Downhillern in Kitzbühel zuzutrauen?
Der Beppi Ferstl hat da seinen größten Erfolg gefeiert und wird sicher wieder angreifen, auch wenn er bislang nicht so nach vorne fahren konnte. Wenn du auf eine Strecke kommst, wo du schon erfolgreich warst, öffnen sich plötzlich ein paar Türchen, und du fährst wieder lockerer. Bei ihm ist halt immer die Gefahr, dass er zu viel will, und dann verbremst er es meistens.
Wasmeier erklärt: Darum war Kitzbühel so speziell
Die Dichte ist enorm. Nach zwei Slalomläufen liegen teilweise 18 Mann innerhalb einer Sekunde! War das früher auch so eng?
Als ich 1987 in Kitzbühel Sechster geworden bin, waren es 17 Hundertstel bis Platz zwei. Es gab aber auch Strecken, wo man den anderen eineinhalb Sekunden abgenommen hat. Und es gab viel mehr Ausfälle, weil die Pisten so schlecht präpariert waren.
Und die Zahl der Kreuzbandrisse war in der Vor-Carving-Zeit sicher geringer.
In den technischen Disziplinen schon, aber wenn es dich in der Abfahrt bei 120 geschmissen hat, tat das mit den alten Skiern genau so weh wie mit den neuen. Wenn du einmal unkonzentriert auf dem Ski stehst, landest du im Gelände. Kitzbühel war da ganz speziell: Das war die Abfahrt, die sich am längsten den neuen Plastikzäunen verweigerte.
Wieso das denn?
Sie haben gesagt, sie seien so ein armer Skiklub und könnten sich das nicht leisten. Und dann sind wir tatsächlich noch zwei Jahre länger mit Holzzäunen gefahren! Diese drahtgebundenen, angespitzten Holzzäune. Wenn du da rein krachst: Na, servus!

Im Slalom geht es dagegen nicht ganz so flott zu. Wie erleben Sie den Aufstieg des ewigen Talents Linus Strasser zum Podestfahrer?
Für ihn ist das natürlich am allerschönsten, für uns Zuschauer aber auch. Schön zu sehen, dass so ein Sportler jetzt genau den letzten Kick gefunden hat und nun ganz oben mitmischen kann. Das war ja sein großer Traum: irgendwann mal die Anderen zu ärgern.
"Trainingsweltmeister gibt es viele - aber am Ende zählt der Wettkampf"
Gerade hat Marcel Hirscher erzählt, wie er und Felix Neureuther oft gestaunt haben, was Strasser im Training da wieder für ein Feuerwerk abgebrannt hat - was dann im Wettkampf aber verglüht war. Hat er selbst nicht mehr dran geglaubt?
Glaube ich nicht. Wenn man nicht mehr dran glaubt, steckt man nicht so viel Arbeit rein. Denn das ist ja richtig Arbeit! Jeden Tag schinden, immer an die Leistungsgrenze: Das machst du nur, wenn du weiter an dich glaubst. Das hat Linus gemacht: kontinuierlich an sich gearbeitet. Was ihm in diesem Jahr vielleicht geholfen hat: Wenn es eine so komische Vorbereitung wie heuer gibt, wenn du nach einer Verletzung nicht so viel von dir erwartest - auf einmal ist dieser Druck weg! Du nimmst dir selbst diese Last - und plötzlich geht's. Vielleicht ist es auch gut, dass es keine Zuschauer gibt: ein kleiner Baustein, der ihm dann die Ruhe gibt. Es sind ja immer nur Nuancen. Nach seinem ersten Sieg in Zagreb hat er gesagt: 'Eigentlich hab' ich gar nicht viel von mir erwartet.' Das habe ich so oft erlebt: Die, die sich am wenigsten Druck machen, bringen plötzlich Top-Leistungen. Trainingsweltmeister gibt es viele - aber am Ende zählt der Wettkampf. Da muss man noch eine Schippe drauflegen, und das kann man nicht, wenn man Nerven zeigt und es mit der Brechstange erzwingen will.

Waren Sie ein Trainingsweltmeister?
Mich haben manche Mannschaftskollegen im Training geschlagen - aber im Rennen waren sie dann hinten.
Als Pechvogel erweist sich mal wieder Stefan Luitz, der erneut verletzt ist.
Dieser zunächst aberkannte Weltcupsieg in Beaver Creek vor zwei Jahren hat ihn irgendwie aus der Bahn geworfen. Seitdem war der Teufel drin. Man weiß ja nicht, was sich da im Unterbewusstsein aufbaut. Man meint immer, Sportler sind psychisch so stark - im Gegenteil: Das sind dünne Wände. Die können schnell verzweifeln. Felix Neureuther hatte das auch mal. Der Trainer hatte ihm gesagt: "Lass es bleiben, hör auf!" Drei Tage später hat er in Kitzbühel seinen ersten Weltcup gewonnen.