Maria und die pure Lust

Alpin-Star Riesch ist so gut, dass sie es selbst kaum noch versteht. „Manchmal träumst du von solchen Läufen. Dass sie wirklich passieren, ist Wahnsinn.“
MÜNCHEN Spät in der Nacht war’s, halb 2, als Maria Riesch im Bett war, daheim in Partenkirchen. Der Flug am Abend aus Barcelona, die Heimfahrt vom Münchner Flughafen, es hatte sich hingezogen. Und gestern früh um halb 7 war sie schon wieder wach. „Schlafen habe ich nicht mehr können“, sagte Riesch gestern Mittag, beim Treffen mit der AZ, „da ist mir einfach zu viel durch den Kopf geschwirrt.“ Die Erinnerung an den Sonntag, an den Slalom-Triumph in La Molina und der Versuch, sich die gewaltigen eineinhalb Sekunden Vorsprung zu erklären.
„So richtig verstanden habe ich es nicht“, sagte Riesch. Über ihre Dominanz schien sie fast geschockt, die Konkurrenz war es sowieso. So stammelte auch die zweitplatzierte Rivalin und Freundin Lindsay Vonn nach Rennende nur fassungslos: „Was ist denn mit Dir los?“ Eine Antwort blieb Riesch schuldig. Bei keinem ihrer sechs Siege hatte sie einen so großen Vorsprung, nie zuvor hatte Riesch ein Rennen so beherrscht.
Längst vergessen sind all die Sorgen, die sie nach ihren beiden Kreuzbandrissen 2005 hatte und in tiefe Verzweiflung stürzte. Als sie, wie sie gestern erzählte, 15 Kilo zulegte, „vor lauter Frust-Essen“. Ein gewaltiges Pfund ist Riesch jetzt nur noch, wenn es um Erfolge geht, als einzige deutsche Skiläuferin.
Denn im DSV-Team gibt es nach wie vor nur die Riesch. Und sonst nichts. „Die zweite Reihe kommt einfach nicht weiter“, hatte Wolfgang Maier, der alpine Sportdirektor gemeint, „die Maria hat eine Monopolstellung.“
Das weiß auch Riesch selbst. „Dabei haben wir ja ein Riesen-Team“, sagt sie. Doch außer ihr stagnieren alle, auch Susi Riesch, Marias drei Jahre jüngere Schwester. „Manchmal habe ich das Gefühl, sie hat eine Weltcup-Blockade“, sagt die größere Schwester, „das ist oft reine Kopfsache.“ Bei ihr selbst stimmt der Kopf, weil sie das Skifahren wieder ungebremst genießt. „Zur Zeit“, sagt sie, „macht mir alles Spaß, was ich mache.“ Vielleicht ist das die Antwort auf die Frage von Freundin Lindsay. Die Freude am Beruf. Pure Lust. Das ist mit ihr los.
Kurz bevor Maria Riesch zur Autogrammstunde nach Ingolstadt aufbrach, schüttelte sie noch einmal den Kopf. „Manchmal“, sagte sie, „träumst du von solchen Läufen. Aber dass sie wirklich passieren, ist schon Wahnsinn.“ Heute geht es weiter, Riesch fährt nach St. Moritz. Da gibt es am Wochenende eine Kombination, eine Abfahrt, einen Super-G, in der Nacht auf Montag ist Riesch wieder daheim. Sie ist guter Hoffnung – auf erneutes Kopfschwirren.
Florian Kinast