Marcel Wüst: Der Tod fährt immer mit

Bei der Polenrundfahrt ist Rad-Star Bjorg Lambrecht verunglückt tödlich. Die AZ sprach mit Ex-Profi Wüst, der 2000 selber fast bei einem Sturz ums Leben gekommen wäre.
von  Interview: Matthias Kerber
Ein Fahrer vom Team Novo Nordisk trauert um Bjorg Lambrecht.
Ein Fahrer vom Team Novo Nordisk trauert um Bjorg Lambrecht. © Forum/ Szymon Gruchalski/FORUM/dpa

München - Der 52-Jährige Marcel Wüst war einer der erfolgreichsten deutschen Radfahrer, er gewann 14 Etappen bei der Tour de France, dem Giro und der Vuelta. Im Jahr 2000 stürzte er in Issoire so schwer, dass er auf dem rechten Auge erblindete und die Karriere beenden musste.

AZ: Herr Wüst, der Radsport betrauert seinen nächsten Todesfall: Bei der Polen-Rundfahrt ist Bjorg Lambrecht so schwer gestürzt, dass er wenig später seinen schweren Verletzungen erlag. Wie haben Sie, wo Sie im Jahr 2000 selbst so schwer gestürzt sind, dass Sie dabei das rechte Auge verloren, von dem Unglück erfahren?
MARCEL WÜST: Ich bin zur Zeit auf Mallorca, da gab es dann in den Sozialen Medien erste Meldungen, die dann sehr bald traurige Gewissheit wurden. Ich bin sehr, sehr betroffen und traurig. Das nimmt mich richtig mit. Die Radsport-Familie, zu der ich mich immer noch zähle, hat einen sehr starken Fahrer verloren, aber vor allem einen wirklich tollen Menschen. Und natürlich war es so, dass mir gleich in den Sinn kam: Marcel, das hättest auch du sein können. Es hat ja damals nicht viel gefehlt und ich hätte nicht nur mein Augenlicht auf einem Auge verloren, sondern mein Leben.

Wüst: "Der 11. August ist mein zweiter Geburtstag"

Das war am 11. August 2000.
Stimmt. Das ist für mich mein zweiter Geburtstag. Ich bin ja am Dienstag 52 Jahre alt geworden, aber der 6. August ist für mich ein ganz normaler Tag, den ich nicht groß feiere. Aber fünf Tage später, der 11. August, das ist ein ganz spezieller Tag für mich. Mir wurde eine zweite Chance, ein zweites Leben geschenkt. Ich bin unendlich dankbar, dass ich damals nicht zu den Engeln gekommen bin. Dieses Glück hatte Lambrecht leider nicht. Das ist eine echte Tragödie.

Als Sie von dem Todesdrama um Lambrecht hörten, war Ihr eigener Horrorsturz gleich wieder bei Ihnen präsent?
Nicht so sehr der Sturz an sich, aber die Gefühle, die damit einhergehen. Ich bin jetzt einfach mit so viel Demut und Dankbarkeit erfüllt, dass ich überhaupt noch am Leben bin. Jeder Tag, an dem ich am Morgen aufstehe, ist ein Geschenk. Dieses Wissen führt dazu, dass ich eben auch Dingen, die im ersten Moment vielleicht nicht so positiv sind, Gutes abgewinnen kann.

Ein Fahrer vom Team Novo Nordisk trauert um Bjorg Lambrecht.
Ein Fahrer vom Team Novo Nordisk trauert um Bjorg Lambrecht. © Forum/ Szymon Gruchalski/FORUM/dpa

Wie kann man den Radsport sicherer machen? Es gab zuletzt mehrere schwere Stürze, unter anderem knallte der fünfmalige Tour-de-France-Sieger Chris Froome vor der Frankreich-Rundfahrt in eine Mauer, verletzte sich schwer.
Es hat sich ja zum Glück im Laufe der Jahre schon viel getan im Radsport. Allein, dass mit Helm gefahren wird, hat viel zur Sicherheit beigetragen. Ich erinnere mich noch genau, als ich zu den Profis kam, da war ich 21. Das Erste, was ich tat, war ohne Helm zu fahren. Ich dachte nur: Ist das geil! Man denkt gar nicht dran, was alles passieren kann. Bis dann eben was passiert. Radsport ist eine Risiko-Sportart, das wird auch immer so bleiben. Das Risiko nimmt man irgendwo in Kauf, wenn man diesen Sport betreibt. Der Tod fährt immer irgendwo mit. Aber das ist nicht nur im Sport so, das ist auch so, wenn man mit dem Rad zum Bäcker fährt. Wenn man schaut, wie viele Radfahrer jedes Jahr im Straßenverkehr zusammengefahren werden, wie sehr die Rücksichtnahme auf den Straßen abgenommen hat, kann einem angst und bange werden. Aber klar: Das jetzt war eine unfassbare Tragödie, Lambrecht ist viel zu früh gestorben.

Wüst: "Der Tod fährt immer irgendwo mit"

Er wurde nur 22.
Fürchterlich. Seine Familie, seine Freunde, sein Team tun mir unheimlich leid.

Sie sprachen den 11. August, Ihren zweiten Geburtstag an, feiern Sie den besonders?
Ja, für mich bin ich irgendwo nicht 52, sondern feiere meinen 19. Geburtstag. Deswegen werde ich auch am Sonntag meine Frau, die ich schon standesamtlich geheiratet habe, in Mallorca am Strand heiraten. Wir werden das rauschend feiern. Dieser Tag hat für mich eben eine ganz besondere Bedeutung. Ich habe eine zweite Chance im Leben erhalten, und gibt es einen besseren Tag, als dann zu heiraten? Der Bruder meiner Frau ist Pastor, der wird uns trauen. Wir werden die Füße im Meer haben und mit einer kleinen Auswahl an Menschen, die uns wichtig sind, diesen Tag begehen. Wir werden das Leben zelebrieren, denn man hat ja jetzt gerade leider erst wieder gesehen, wie schnell alles vorbei sein kann.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.