Malaika Mihambo: "Ich habe immer den Plan, eine bessere Version meiner selbst zu sein"

AZ-Interview mit Malaika Mihambo: Die 27-jährige Heidelbergerin ist mit dem Sieg bei den Spielen in Tokio die erste deutsche Weitsprung-Olympiasiegerin seit Heike Drechsler im Jahr 2000 in Sydney. Zuvor hatte die Studentin (Umweltwissenschaften) 2019 in Doha den Weltmeistertitel geholt.
AZ: Frau Mihambo, neben dem Sport ist die Musik Ihre große Leidenschaft. Hatten Sie in den vergangenen Monaten nach dem Gold-Triumph von Tokio endlich wieder etwas mehr Zeit fürs Klavierspielen?
MALAIKA MIHAMBO: Leider nein. Mein E-Piano habe ich in der Zeit nach den Olympischen Spielen kaum angefasst, weil ich einfach zu viele Termine hatte und kaum zu Hause war. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn ich jetzt wieder häufiger dazu kommen würde, Klavier zu spielen.
"Ich bin eher ein Fan der klassischen Musik"
Womöglich finden Sie ja nun an den Feiertagen die nötige Ruhe und Muße. Haben Sie ein Weihnachtslied, dass Sie besonders gerne auf dem Klavier spielen?
"Hört der Engel helle Lieder", aber das ist auch das Einzige, das ich selbst mal gespielt habe. Eigentlich mag ich Weihnachtslieder gar nicht so gerne. Sie sind zwar schön zu singen, aber meistens nicht ganz so raffiniert und ich bin ja eher ein Fan der klassischen Musik. Wobei man sicher auch eigene Improvisationen versuchen könnte, die dann vielleicht etwas anspruchsvoller sind.
Die stade Zeit zwischen Heilig Abend und Neujahr nutzen viele Menschen, um sich selbst zu reflektieren oder das vergangene Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Wenn auch Sie heuer so eine Rückschau wagen, würden Sie sagen, es gibt für Sie ein Leben vor und eines nach der Goldmedaille?
Ja, zeitlich gesehen schon - und mein Bekanntheitsgrad ist natürlich jetzt auch höher. Aber von meinem Selbstverständnis her hat sich nichts verändert - und genau das finde ich das Schöne: Dass ich mich frei machen kann von Niederlage und Erfolg und meine Selbstidentifikation nicht von Medaillen abhängig ist.
Diese innere Gelassenheit ist eine seltene Gabe, die nicht allzu viele Hochleistungssportler besitzen.
Natürlich gewinne ich auch lieber, als dass ich verliere. Aber wenn ich bei einem Wettkampf nicht vorne bin, ist das für mich kein Verlust, weil ich dafür Erfahrungen gewonnen habe. Ich mache den Sport eh nicht an Medaillen und Erfolgen fest, sondern für mich ist es eher eine innere Meisterschaft, die ich anstrebe.
Das klingt ja fast schon zu entspannt, um wahr zu sein. Spüren Sie nie so etwas wie Druck, nicht mal in einem olympischen Weitsprung-Finale?
Doch, schließlich habe ja auch ich Erwartungen an mich selbst. Aber ich glaube, dass ich mit dieser speziellen mentalen Einstellung eben mehr Raum habe, mich von solchen Druckgefühlen zu lösen, weil man sich dann während eines Wettkampfs wieder besser konzentrieren kann und man zurück zu seiner inneren Stärke findet. Das ist mir damals in Doha (WM-Titel 2019, Anm. d. Red.) und jetzt auch wieder in Tokio ganz gut gelungen.

Ihr Erfolgsgeheimnis - wobei das ja eigentlich gar kein Geheimnis mehr ist, da Sie ganz offen darüber sprechen - heißt: Meditation. Wie viel davon steckt in Ihrer Goldmedaille?
Ich denke, dass die Meditation einen sehr großen Anteil an meinen Erfolgen hat. Denn man lernt dadurch, zu seinen eigenen Emotionen Abstand zu gewinnen und in eine Art Beobachterrolle zu schlüpfen. Dadurch kann man sich besser von so Gefühlen wie Angst oder Druck abschirmen.
Wenn's doch nur so einfach wäre. . . Finden Sie, dass sich alle Spitzensportler mit Meditation beschäftigen sollten?
Natürlich gibt es auch andere Athleten, die meditieren. Aber ich bin jemand, der die Meditation schon sehr intensiv betreibt und ich glaube deshalb, dass es mir schon mehr hilft, als Sportlern, die das nur so ein bisschen oder unstrukturierter betreiben. Ich habe immer den Plan, die beste Version meiner selbst zu sein. Und dafür muss man sich eben erstmal selbst kennenlernen und dabei auch auf eine gewisse Art und Weise auch schonungslos offen mit sich selbst sein, sich selbst Ängste und negative Gefühle eingestehen. Ich weiß aber auch, dass man immer noch mehr aus sich rausholen, bei der Mediation in immer tiefere Schichten vordringen kann. Mein Ziel ist es, mit mir völlig im Reinen zu sein. Denn wenn ich glücklich bin, kann ich auch die bessere Athletin sein.
Stimmt es, dass Sie sogar einmal zehn Tage am Stück durchgehend meditiert haben?
Ja, das war schon anstrengend und das muss man schon wollen. (lacht) Aber dabei lernt man auch sehr viel über sich selbst.
Was zum Beispiel?
Dass man durch die Meditation eine Art inneres Zuhause hat, eine Sicherheit, auf die man immer zurückgreifen kann.
"Der perfekte Sprung ist mir noch nie gelungen"
Wenn Körper und Geist im Einklang sind, wie oft gelingt Ihnen denn der berühmte perfekte Sprung?
Mein Weltmeistersprung 2019 in Doha war schon ganz gut (7,30 Meter, Anm. d. Red.). (lacht) Aber der perfekte Sprung ist mir noch nie gelungen - und schon gar nicht im Training, weil ich eine Wettkampfspringerin bin. Aber es gibt natürlich immer Dinge, die man verbessern kann: Armführung, Geschwindigkeit, daran arbeiten wir im Moment.
Sie hatten schon seit längerer Zeit geplant, bei der Weitsprung-Legende Carl Lewis in Houston/Texas zu trainieren. Was kann so eine US-Leichtathletik-Ikone einer Olympiasiegerin wie Ihnen eigentlich noch beibringen?
Das weiß ich noch nicht. Nachdem ich bei Olympia so gut mit Weitsprung-Bundestrainer Ulrich Knapp zusammengefunden habe, möchte ich diese gute Zusammenarbeit jetzt auch gar nicht weggeben für etwas, von dem ich noch gar nicht abschätzen kann, wie es wird. Deshalb ist eher das Ziel, in Deutschland zu bleiben, beziehungsweise dann auch mit meinem Trainer zu vereisen und internationale Trainingsluft zu schnuppern. Houston wird also ein Baustein sein, aber eben nur einer von mehreren. Aber ich freue mich, wenn sich die Gelegenheit ergibt, mich mit Carl Lewis auszutauschen - da werde ich dann auch gerne davon erzählen. (lacht)