Macht ein Olympia-Boykott Sinn?

Als Teilnehmerin in 100m Hürden und Weitsprung sprach sie bei den Spielen von München 1972 den Olympischen Eid. Die 57-Jährige Heidi Schüller lebt heute als Ärztin und Autorin in Köln und sagt: Ich würde nicht nach Peking fahren.
von  Abendzeitung
Heidi Schüller.
Heidi Schüller. © az

Als Teilnehmerin in 100m Hürden und Weitsprung sprach sie bei den Spielen von München 1972 den Olympischen Eid. Die 57-Jährige Heidi Schüller lebt heute als Ärztin und Autorin in Köln und sagt: Ich würde nicht nach Peking fahren.

AZ: Frau Schüller, können Sie sich nach dem chinesischen Gewaltexzess in Tibet noch auf die Olympischen Spiele in Peking freuen?

HEIDI SCHÜLLER: Wenig, aber auf Olympische Spiele freue ich mich ja schon lange nicht mehr. Es war doch schon bei der Vergabe dieser Spiele absehbar, was dabei rauskommt. Eine Megaveranstaltung, gesteuert von einer riesigen Propaganda. Ich kann damit nichts anfangen.

Würden Sie einen Boykott begrüßen?

Ich habe schon 1980 für einen Boykott der Moskau-Spiele plädiert, nach dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan. Ich selbst würde bestimmt nicht nach Peking fahren. Ich fürchte nur, dass die Maschinerie nicht mehr zu stoppen ist. Ich hoffe, dass die Medien weltweit reagieren und bei jeder Siegerehrung nicht nur die Propagandabilder zeigen, sondern auch beharrlich und konsequent Bilder aus Tibet. Immer und immer wieder. Die Entwicklung der Olympischen Spiele geht mir schon gegen den Strich, aber die Vorkommnisse in Tibet schlagen dem Faß den Boden aus.

Die Sportler selbst lehnen einen Boykott ab. Speerwerferin Steffi Nerius meinte nur lapidar, wofür habe sie denn vier Jahre trainiert.

Aus der Sicht der Aktiven auch verständlich. Ich hoffe nur, dass die sich alle vor Ort ein freies Urteil erlauben.

Die britischen Athleten wohl nicht. Sie erhielten von ihrem NOK bereits einen Maulkorb, sie dürfen sich in Peking nicht politisch äußern.

Abartig. Ich hoffe, dass es bei den deutschen Sportlern noch nicht so weit ist.

Bisher noch nicht.

Ich hoffe, dass da einer dabei ist, der den Mund aufmacht. Es gibt immer Mittel und Wege, sich bemerkbar zu machen. Wie die Black Panther, 1968 in Mexiko.

Sie meinen die farbigen US-Sprinter Tommie Smith und John Carlos.

Ja. Sie hoben bei der Siegerehrung die Faust als Zeichen gegen die rassistische Unterdrückung in den USA. Dieses Bild ging um die Welt, diese Botschaft kam an. So etwas erhoffe ich mir in Peking auch. Ein klares Signal. Der Unterschied zu damals ist nur, dass wir noch mehr Freiheiten hatten. Die Athleten heute sind immer abhängiger geworden. Aber es geht ja schon längst nicht mehr um den Athleten.

Sondern?

Ums Geschäft. Das IOC will neue Märkte in Asien erschließen, sein Vize Thomas Bach will demnächst Präsident werden. Deswegen reden sie so, wie sie jetzt reden. Olympische Spiele sind nur noch eine Gruppenveranstaltung, um Fähnchen zu schwenken – und die Athleten sind nur Folklore, alle vier Jahre austauschbare Folklore. Es geht nur um die Milliarden-Geschäfte hinter den Kulissen.

Könnten Sie heute noch den Olympischen Eid schwören wie einst in München?

Nein, aber ehrlich gesagt hatte ich damals schon Bauchschmerzen dabei. Damals hat mich mein Alter noch geschützt, ich war einfach noch so jung. Tatsächlich ist die Olympische Idee nur noch verklärt. „Dabei sein ist alles“, das ist doch Quatsch. „The winner takes it all“, dem Sieger gehört Alles – und deswegen wird für den Sieg alles getan, mit gespenstischen Mitteln. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass da drüben nichts läuft mit Doping. Und wenn nicht bei Olympia, dann schon jetzt weit im Vorfeld, damit sie zu den Spielen dann in Bestform sind.

Es ist wohl reine Utopie, dass Olympische Spiele jemals zum hehren Ideal der reinen, friedlichen, unbelasteten Spiele zurückkehren?

Eine Rückkehr ist unmöglich. Man sollte Olympia nur als das benennen, was es ist: eine weltweite Marke IOC, die nur neue Märkte erschließen will. Die Spiele sind hochpolitisch. Man soll sie nur bitte nicht mehr verniedlichen, als seien sie eine fröhliche, lustige Turnveranstaltung.

Interview: Florian Kinast

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