Löwin Lisicki

NEW YORK - Drei Wochen musste Sabine Lisicki wegen einer Schulterverletzung pausieren - und startete dennoch erfolgreich in die US Open.
. Die „New York Times“ erhob sie vor dem Grand Slam-Spektakel zu einer von drei außergewöhnlichen Spielerinnen im Damenwettbewerb, „auf die man bei den US Open achten muss“. Und auch wenn Sabine Lisicki ohne Spielpraxis, ohne ihren alten, vertrauten Aufschlag und ohne das gewohnte Selbstvertrauen zu diesem Turnier gefahren war, hatte das Renommierblatt zumindest fürs erste recht behalten im Fall Lisicki: Denn wie die Berliner Teenagerin drei Wochen Tennis-Stillstand wegen einer Schulterverletzung in ihrem Erstrundenduell gegen die gefährliche Französin Aravane Rezai wegsteckte, war ein dickes Ausrufezeichen wert und eine imponierende Show fürs Grand Slam-Publikum auf dem überfüllten Platz 11 von Flushing Meadow.
„Sie fightet auch an weniger guten Tagen wie eine Löwin. Das hebt sie einfach aus der Masse heraus“, sagte Bundestrainerin Barbara Rittner nach dem 7:6 (7:4), 6:7 (4:7), 6:1-Auftaktsieg der deutschen Nummer eins-Spielerin, die erst am letzten Donnerstag von den Ärzten grünes Licht für den Start im „Big Apple“ bekommen hatte. „Unheimlich glücklich“ sei sie, die erste Hürde gemeistert zu haben, sagte Lisicki, „das ist schon ein kleines Wunder, dass ich das so geschafft habe.“
Was sie von vielen Möchtegern-Stars des deutschen Tennis unterscheidet, zeigte Lisicki, als es in der Hitze des Dienstagnachmittags so richtig kritisch wurde, als sie im Tiebreak des zweiten Satzes einen 4:0-Vorsprung verspielt hatte, als sie plötzlich in einen entscheidenden dritten Grand Slam-Akt gezwungen wurde. „Die meisten Spielerinnen wären da total eingebrochen, fertig mit den Nerven“, befand Rittner, „doch Sabine strahlte plötzlich eine unglaubliche Ruhe aus, war total konzentriert.“ Die heikle Last-Minute-Umstellung beim Aufschlag, 16 Doppelfehler und eine miese 50-Prozent-Quote beim ersten Service machte Lisicki mit viel Mumm und großem Kämpferherz wett - eine Spielerin, die auch nach der ersten schwereren Verletzung in ihrer jungen Profikarriere zeigte, warum sie in Fachkreisen als kommende Top Ten-Größe gehandelt wird. „Sie lässt sich niemals unterkriegen – niemals“, sagte Trainerguru Nick Bolletttieri, in dessen Camp sich Lisicki für die US Open vorbereitet hatte.
Lisicki: "Ich bin eben eine Kämpferin"
Oder besser: Vorbereiten wollte. Denn vom sorgsam ausgetüftelten Trainingsplan für die US Open waren nur Fragmente übrig geblieben. „Als in Los Angeles die Probleme mit der Schulter auftauchten, konnte ich keinen einzigen Ball mehr spielen“, sagte Lisicki, „drei Wochen ging da überhaupt nichts mehr. Zum Glück ist es keine chronische Verletzung.“ Von den Ärzten bekam sie vergangene Woche zwar doch noch das „Go“ für New York, doch nur unter einer Bedingung: Die Aufschlagbewegung musste, ganz ähnlich wie auch bei Diva Maria Scharapowa, eingeschränkt und das Tempo aus dem Service herausgenommen werden.
„Zehn Jahre schlägst du mit einer Bewegung auf, die dir in Fleisch und Blut übergegangen ist – und dann musst du alles ändern vor so einem Grand Slam-Turnier. Das ist schon hart zu akzeptieren“, sagte Lisicki, „eigentlich hatte ich null Erwartungen für dieses Turnier. Aber ich bin eben eine Kämpferin, die dann natürlich um jeden Punkt fightet.“
Vorerst muss sich mit dem langsameren, langweiligeren und wenig durchschlagskräftigen Notaufschlag begnügen. Kann sich aber auf ihren Biß und ihre erstaunliche Never say die-Mentalität verlassen, jene trotzige Haltung, sich nicht unterkriegen zu lassen von allen kleineren und größeren Problemen als Tennisprofi. „Wie sie das alles wegsteckt, wundert mich selbst ein wenig“, sagte Vater und Trainer Dr. Richard Lisicki, „zu dem Spiel gegen Rezai kann ich nur sagen: Bravo. Dieser Sieg war längst keine Selbstverständlichkeit.“ Besonders die „Coolness“ und die taktische Konsequenz im dritten Satz fand der Papa „vorbildlich“: „So kannst du auch in der Spitze mithalten.“ Anastasia Rodionawa, die eingebürgerte Australierin, ist die nächste Gegnerin von Sabine Lisicki. Einer Spielerin, die zwar ihren vertrauten Aufschlag verloren hat, aber nicht ihre erfrischende Courage.
Ein Jahr nach ihrem sensationellen Achtelfinal-Vorstoß waren die US Open dagegen für Anna-Lena Grönefeld schon früh beendet: Trotz eines harten Fitnessprogramms nach dem Wimbledon-Desaster und acht Kilo Gewichtsverlust war die Nordhornerin chancenlos bei der 3:6, 2:6-Niederlage gegen die Chinesin Jie Zheng: „Das war enttäuschend. Ich hatte mir viel mehr vorgenommen“, sagte Grönefeld, deren Spiel zu eindimensional auf Powertennis ausgerichtet war. Als dritte Deutsche neben Lisicki und Angelique Kerber rückte die Saarländerin Kristina Barrois mit einem 6:4, 6:4-Sieg über die Polin Ursula Radwanska in die zweite Runde vor und verabredete sich so für ein Treffen mit der Weltranglistenersten Dinara Safina: „Ich will sie schon ein bisschen ärgern. Da ist schon was drin für mich“, sagte Barrois.
Jörg Allmeroth