Lisicki: Abschied in Tränen – und im Rollstuhl

Das US-Open-Aus von Sabine Lisicki gerät zum Drama. Beim allerletzten Ballwechsel verletzt sie sich am Knöchel. „Der Schock ist riesengroß, noch größer als der Schmerz.“
NEW YORK Es geht den Schützlingen der Bollettieri-Akademie in harten Lehrjahren in Fleisch und Blut über, es ist sozusagen das erste und oberste Gebot: Nie, nie, nie auch nur einen einzigen Punkt verloren zu geben, nie den Kampf zu beenden, bevor die Niederlage wirklich feststeht. Und so hetzte Sabine Lisicki eben auch beim Matchball ihrer Gegnerin Anastasia Rodionova in auswegloser Lage dem Ball hinterher, weit hinaus aus dem Feld, ohne echte Chance, diesen Matchball beim Stand von 5:6 im dritten Akt des US- Open-Zweitundendramas noch abwehren zu können.
Lisicki geriet ins Stolpern, knickte um und ging mit einem lauten Aufschrei des Entsetzens zu Boden. Und während sie sich vor Schmerzen krümmte, schubste die Rodionova den Ball mühelos zum 6:3, 3:6, 7:5-Sieg ins Feld.
Die US Open, die nach einer langwierigen Schulterverletzung ohnehin als schwierige, heikle Mission für Lisicki begannen, enden so in Schmerz und abgrundtiefer Enttäuschung – und im Rollstuhl.
Noch am Abend wurde Lisicki in einem New Yorker Krankenhaus geröntgt. Danach erklärte die 19-jährige Berlinerin: „Die Röntgenaufnahmen haben nichts Ernstes gezeigt, der Knöchel ist nur verstaucht. Um sicherzugehen. werden wir aber eine Kernspintomografie machen.“
„Der Schock bei Sabine ist riesengroß gewesen, noch größer als der Schmerz“, sagte Bundestrainerin Barbara Rittner, Augenzeugin des Malheurs. Dem Drama der Verletzung war das Drama des Spiels vorangegangen. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Anderthalb Sätze lang war Lisicki praktisch gar nicht auf dem Platz, wirkte mutlos. Beim 3:6, 0:3-Zwischenstand setzte niemand auch nur einen Cent auf die Berliner Teenagerin. Doch plötzlich wendete sich das Spiel: Lisicki fand ihren Rhythmus, ihr Selbstbewusstsein und ihre Schlagpräzision. Die Aufholjagd ging rasend schnell: Die nächsten sechs Spiele gewann allesamt die 19-jährige, und damit war das 6:3 und der 1:1-Satzausgleich perfekt. Auf der Tribüne sagte Rittner: „Das gewinnt sie jetzt.“ Doch im entscheidenden Satz vergab Lisicki zwei Matchbälle – kurz vor dem Ende mit Schmerzen und Tränen. Noch weiß keiner, wie lange sie pausieren muss. Doch Sabine sagte: „Ich bin eine Kämpferin und werde hart arbeiten, so schnell wie möglich auf den Platz zurückzukehren.“
Die Peinlichkeit des Tages leisteten sich derweil die Organisatoren: Noch während die schluchzende Lisicki auf dem Boden behandelt wurde, schickten sie bereits die Spieler des nächsten Matches auf den Court – den Schweden Robin Söderling und den Spanier Marcel Granollers. Das Match dauerte nur zwei Spiele, dann musste Granollers wegen einer Knöchelverletzung aufgeben.
Jörg Allmeroth